Essen. In Berlin kann das wiedererrichtete Hohenzollern-Schloss, das zum Humboldt-Forum wurde, besichtigt werden – freilich nur digital, im Live-Stream.
Das Humboldt-Forum im wiederaufgebauten Berliner Schloss der Hohenzollern wird heute eröffnet. Dass es nur die erste Etappe einer scheibchenweisen Öffnung ist, dass sie coronabedingt nur im Stream und nicht in echt vor Ort stattfinden kann, es passt zur holprigen, an Streitpunkten reichen Geschichte eines Wiederaufbaus, die stets zwischen zwei Polen pendelte: Hier ein Konservatismus nach der Devise „Wir wollen unseren alten Kaiser wiederhaben“ – und dort das fast verzweifelte Bemühen, es genau danach nicht aussehen zu lassen. Das Ergebnis: Kein Mensch weiß bis heute genau, was das Humboldt-Forum eigentlich ist, was es sein oder gar werden soll.
Zuerst einmal ist es ein Lückenbüßer, denn als der fünf Jahre lang asbestsanierte DDR-„Palast der Republik“ („Erichs Lampenladen“) 2008 dann doch abgerissen war, tat sich zwischen Museumsinsel, Berliner Dom und Humboldt-Universität ein Nichts auf, das so schön war wie eine Zahnlücke. Der Kaufmann Wilhelm von Boddien hatte es mit seinem Förderverein schon 1993/94 mal wiederauferstehen lassen, indem Bilder der Fassaden auf Gerüsten zeigten, wie das Schloss an dieser Stelle wirken würde.
Kulturen der Welt als Voodoo-Zauber
Das Schloss äußerlich wiederaufbauen zu dürfen (bis auf die zur Spree gewandte Ostseite, die wie eine kaltschnäuzige Bankenfassade mit abgezirkelter Glatt-Geometrie wirkt), hatte politisch einen Preis: Drinnen musste auf Teufel komm raus das Gegenteil von reaktionärem Kaiserreich und borniertem Preußenstolz stattfinden.
So mag die Idee entstanden sein, die lange Zeit im abgelegenen Dahlem eher ausgelagerten völkerkundlichen Sammlungen sowie die des Asiatischen Museums hier zu zeigen. Damit, so das Kalkül, müsste doch der kriegerische Geist des Wilhelminismus, der Königsdiktatur und der kulturellen Arroganz wie mit einem Voodoo-Zauber zu verscheuchen sein. So ganz aber konnte das schon deshalb nicht gelingen, weil dann doch mehr rekonstruiert wurde als ursprünglich geplant. Der mit breiter Mehrheit gefasste Bundestagsbeschluss von 2002 sah Kosten von 552 Millionen Euro vor. Derzeit liegen sie bei 667 Millionen. Dazu kam die Million von der Witwe des Otto-Versand-Gründers für ein goldenes Kreuz auf der Kuppel, das vier Meter hoch ist und 320 Kilo wiegt, ein halbes davon allein besteht aus Blattgold.
Hitzige Debatte um das Kreuz und den Widmungsspruch
Über das Kreuz und den dubiosen Widmungsspruch entstand noch in diesem Sommer eine hitzige Debatte. Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV., der für die Niederschlagung der bürgerlichen Revolution von 1848 sorgte, ließ sich dazu von zwei Bibelsprüchen inspirieren und sorgte dafür, dass sie 1854 an dem immer wieder umgebauten und erweiterten Barockschloss angebracht wurde.
Vom Herrschaftsanspruch, der sich darin äußerte, sind ja auch die völkerkundlichen Sammlungen geprägt, die voller Raubkunst sein dürften. Die aber wird wohl nach dem Vorbild Frankreichs in den kommenden Jahrzehnten in mehr oder minder großen Zügen an die Herkunftsländer zurückgegeben. Der Botschafter Nigerias hat schon Kunstwerke aus dem ehemaligen Benin zurückverlangt und forderte gerade erst wieder Bundeskanzlerin Angela Merkel via Twitter zu einer Reaktion auf.
Berlin-Ausstellung des Stadtmuseums
Ob also Völkerkunde- und Asien-Museum mit ihren 500.000 Objekten vom polynesischen Fürstenstab über Aztekenkunst bis zu Schädeln von Kopfjägern auf Dauer die zweite und dritte Etage des Schlosses füllen können, steht dahin. Eine Etage tiefer gibt es dann eine Berlin-Ausstellung des örtlichen Stadtmuseums. Denn das ist bislang auf fünf Häuser verteilt, aber nirgends wird die ganze Geschichte von Berlin erzählt. Deshalb wird dies nun in der ersten Etage des Schlosses geschehen, neben Wechselausstellungen der Humboldt-Universität.
Im Erdgeschoss schließlich soll es als Klammer ein Veranstaltungsprogramm mit Vorträgen und Konferenzen, Happenings und neuen, noch gar nicht etablierten Formaten geben. In der Hoffnung, dass man so Berlin und die große weite Welt irgendwie zusammenbringt und den Blick in die Zukunft richtet. Der selbst gesetzte Anspruch: „Die Welt als Ganzes verstehen“.
Humboldt, Preußens weltoffene Seite
Alles im Namen Alexander von Humboldts, des rastlosen Welterkunders und Forschungsreisenden. Und seines Bruders Wilhelm von Humboldt, des Universalgelehrten, Begründers des deutschen Universitätsprinzips und Philosophen. Sie beide repräsentieren Preußens weltoffene, intellektuelle, fortschrittliche Seite – und sollen eine Art intellektuellen Überbau für das Neben- und Miteinander von Stadtmuseum, Universität und ethnologischen Sammlungen bilden. .
Die 42.000 Quadratmeter Fläche, die durch den Schloss-Wiederaufbau gewonnen wurden, sind bislang noch eher diffus gefüllt. Ein starker, unabhängiger und origineller Denker wie der schottische Historiker Neil McGregor, der zuvor immerhin einen Großtanker wie das British Museum leitete, ist mit seinen Konzeptionsversuchen als Gründungsintendant des Humboldt-Forums bereits an der Zahllosigkeit und widersprüchlichen Vielfalt der Ansprüche gescheitert.
Hartmut Dorgerloh leitet das Humboldt-Forum
Nun leitet Hartmut Dorgerloh das Humboldt-Forum. Ausgerechnet der ehemalige Chef der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten dringt darauf, dass das Forum „alles andere als ein Schloss ist“.
Fragt sich nur, warum es dann so aussehen musste. Man hätte ja auch ganz neu bauen können.