Wann soll man denn singen, wenn nicht im Corona-Jahr 2020. Wir stellen Ihnen die schönsten Weihnachtslieder vor und laden zum Mitsingen ein
Das Lied des Tages finden Sie hier: Stille Nacht
Unser Liederprojekt beschließen wir mit dem Weihnachtslied der Rekorde. „Stille Nacht“ ist immaterielles Weltkulturerbe. Es wurde in 320 Sprachen und Dialekte übersetzt. Viele US-Bürger halten „Silent Night“ für ein uramerikanisches Lied. Seit der ersten Einspielung auf Schallplatte durch das US-amerikanische Haydn Quartet im Oktober 1905 gehört Stille Nacht zu den meistverkauften Tonträgern. Allein die Aufnahme von Bing Crosby von 1935 erreichte bis 2003 geschätzte 10 Millionen Exemplare. Wenn ein Musikstück für Frieden und Verständigung über alle Grenzen hinweg steht, dann ist es dieses Wiegenlied von Franz Xaver Gruber und Joseph Mohr, das am 24. 12. 1818 erstmals gesungen wurde - mitten in einem Hungerwinter.
Im „Rettungshaus für verwahrloste Kinder“ fanden in Weimar Jungen und Mädchen Aufnahme, die infolge der Napoleonischen Kriege zu Waisen geworden waren und auf der Straße lebten. Der Schriftsteller Johannes Daniel Falk gründete dieses Waisenhaus, nachdem er selbst vier Kinder durch eine Typhusseuche verloren hatte. Seinen Kriegswaisen schenkte er 1816 das Lied „O du fröhliche“, das heute weltweit zu den bekanntesten Weihnachtsliedern gehört. Falks gewaltfreie Pädagogik unterschied sich stark von dem damals üblichen Umgang mit Waisenkindern. Seinem Vorbild folgten zahlreiche Pädagogen; heute tragen viele Sozialeinrichtungen seinen Namen. Die Melodie von „O du fröhliche“ ist übrigens ein Marienlied aus Sizilien.
Das Säugen und Wiegen von Kindern hat in allen Kulturen ähnliche Rituale und sogar Begriffe hervorgebracht, zum Beispiel das Lallwort „lullen“, das nicht nur saugen bedeutet, sondern auch „mit gleichförmigen Bewegungen zum Einschlafen bringen“. Daher heißt im Englischen ein Schlaflied „Lullaby“, und im Polnischen bedeutet „lulać“ in den Schlaf wiegen. „Lulajże, Jezuniu“ ist ein sehr bekanntes polnisches Weihnachts-Wiegenlied, das wegen seiner wunderschönen Melodie auch auf Deutsch gesungen wird. Das Lied stammt aus dem 17. Jahrhundert und beschreibt, wie das müde, weinende Jesuskind beruhigt werden kann. Wir stellen in unserem Notenblatt auch eine deutsche Fassung vor; die Audiodatei zeigt, wie „Lulajże, Jezuniu“ klingt.
Dem Jesuitenpater Friedrich Spee sind wir auf unserer Reise durch die Welt der Weihnachtslieder bereits mehrfach begegnet. Mitten im 30-Jährigen Krieg schrieb Spee jenes Lied, das viele Christen bis heute für das berührendste aller Weihnachtslieder halten: „Zu Bethlehem geboren“. Es handelt sich um ein schlichtes Wiegenlied, das inmitten des Schlachtens, der Seuchen und Verwüstungen des Kriegs den verzweifelten Menschen Trost und Hoffnung spenden will. Hier wird nicht von Krippenidylle gesungen, sondern von mutiger Nachfolge und Liebe. Spee war der vehemente Kritiker der damaligen Hexenprozesse. Dafür wurde er strafversetzt und starb, nachdem er sich bei der Pflege erkrankter Soldaten mit der Pest angesteckt hatte
Der katholische Pfarrer und geistliche Schriftsteller Christoph von Schmid (1768-1854) hat in 50 kleinen Erzählungen versucht, Kindern beispielhaft zu schildern, wie Gott das Gute siegen lässt. Sein bekanntestes Gedicht ist „Ihr Kinderlein, kommet“, das er um 1808/1810 verfasste und das zum Welterfolg wurde. So wie in der Bibel die Hirten zur Krippe gerufen wurden, so werden in dem Lied die Kinder aufgefordert, das Weihnachtswunder zu bezeugen. Viele Komponisten haben die Verse vertont. Die heute gesungene Melodie ist ursprünglich ein Frühlingslied; sie stammt von Johann Abraham Peter Schulz, der auch „Der Mond ist aufgegangen“ komponiert hat. Im Englischen wird das Lied als „Oh came, little children“ gesungen.
Weihnachtliche Hirtenlieder gibt es in allen christlichen Kulturen. Ein besonders mitreißendes Beispiel dafür ist „Go Tell It on the Mountain“. Das afroamerikanische Spiritual nimmt die Verkündigung des Engels an die Hirten ernst und ruft dazu auf, in ihrer Nachfolge sozusagen über Stock und Stein weiterzutragen, welches Wunder sich in Bethlehem ereignet hat. Das populäre Lied wird auf die Zeit gegen Ende des amerikanischen Bürgerkriegs 1865 datiert, Komponist und Textdichter sind unbekannt. Zahlreiche Künstler haben das Lied in ihr Repertoire aufgenommen: Peter, Paul & Mary, Simon & Garfunkel, Frank Sinatra und Bill Crosby. Mit deutschem Text ist „Go Tell It on the Mountain“ auch im Evangelischen Gesangbuch zu finden.
Ernst Anschütz (1780 - 1861) gehört zu den Lehrern der Biedermeier-Zeit, deren reformpädagogischem Engagement wir viele Lieder verdanken, die Kindern die Welt erklären sollen. Anschütz schrieb: Es klappert die Mühle am rauschenden Bach, Fuchs, du hast die Gans gestohlen, Wenn ich ein Vöglein wär, Wer hat die schönsten Schäfchen und das überaus populäre WeihnachtsliedO Tannenbaum. Das Lied machte schnell international Karriere und wurde in den USA so beliebt, dass es den Hymnen von vier Bundesstaaten die Melodie lieferte; der britische FC Chelsea singt seine Vereinshymne darauf. Es wird in Übersee auch im deutschen Original gesungen, zum Beispiel in Japan, wo es in einem neueren Liederbuch lautschriftlich transkribiert wird.
Das beliebte englische Weihnachtslied „Away in a Manger“ hat seine Karriere zum Ende des 19. Jahrhunderts in den USA als Wiegenlied begonnen, das Martin Luther für seine eigenen Kinder geschrieben hätte. Diese schöne, aber irrtümliche Zuschreibung hat sich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gehalten. Das Lied gilt als typisches englisches Weihnachtslied, ist aber in den USA entstanden, möglicherweise in einem Sonntagsschulprojekt zum 400. Jahrestag des Reformators Luther. „Away in a Manger“ wurde schnell populär; das liegt an der fröhlichen Melodie und an den fast schon sentimentalen vermenschlichten Bildern. Der Gottessohn wird als braves Baby geschildert, das nicht einmal weint, wenn es vom Muhen des Viehs aufwacht.
Der Huron-Carolgehört zu den Weihnachtsliedern, die selbst ein Weihnachtswunder sind. Der französische Jesuitenpater Jean de Brébeuf erreichte 1625 Kanada, das damals noch eine französische Kolonie war. Er wanderte zum Indianerstamm der Wyandot, die man früher Huronen nannte, und gründete die Missionsstation Sainte-Marie among the Hurons. De Brébeuf war der erste Ethnologe Kanadas. Von ihm kennen wir die Floskel „Howgh“. Sein Lied „Jesous Ahatonhia“ übersetzt das Wunder von Bethlehem in die Erlebniswelt der Wyandot, so werden aus den Hirten Jäger in den Wäldern, und die Könige sind Häuptlinge von fernen Stämmen. De Brébeuf starb 1649 nach einem Irokesenüberfall am Marterpfahl. Er ist der Nationalheilige Kanadas.
Wilhelm Hey (1789-1854) gehört zu den sozialreformerisch engagierten Pfarrern der Biedermeier- und Vormärz-Ära, die aus pädagogischen Motiven zu Dichtern werden; sie wollen Kindern die Welt in verständlichen Bildern erklären. Hey hat mehrere Lieder gedichtet, die heute noch gesungen werden, darunter „Weißt Du, wie viel Sternlein stehen“ und „Wer hat die Blumen nur gemacht“. Seine berühmteste Schöpfung ist jedoch „Alle Jahre wieder“ (1837). Zu diesen eingängigen Strophen, welche das Weihnachtswunder kindgerecht übersetzen, gibt es mehrere Vertonungen. Die heute gebräuchliche hat Friedrich Silcher komponiert, der wichtigste Protagonist der neuen Männerchor-Bewegung. Viele von Silchers Melodien sind zu Volksliedern geworden.
Zwei arme Leute werden unter schwierigen Umständen Eltern. Die Identifikation mit dieser Situation ist groß. Und so suchen unzählige Weihnachtslieder nach Bildern für die häusliche Szene, in der Maria und Josef ganz menschlich den Gottessohn in den Schlaf wiegen. Dass es sich bei „Josef, lieber Josef mein“ um ein Wiegenlied handelt, ist an dem „Eja“ zu erkennen, das die Strophen beschließt. Die Melodie geht auf das lateinische „Resonet in laudibus“ zurück, das seit der Mitte des 14. Jahrhunderts überliefert ist. In seiner heutigen Form wird „Josef, lieber Josef mein“ 1544 von dem Komponisten Johann Walter veröffentlicht. Der deutsche Text stammt möglicherweise von dem Mönch von Salzburg, der auch 50 Liebeslieder gedichtet hat
Der Verkündigungsengel bringt die frohe Botschaft zu den Hirten auf dem Felde. Sein Gloria hat die Komponisten besonders gereizt. Es wird nicht silbenweise vertont, sondern melismatisch, das heißt, der Vokal „o“ wird besonders langgezogen und mit vielen Noten ausgestaltet. Nur der menschliche Atem setzt dem Jubel der Engel eine Grenze, deshalb lieben die Sänger „Hört der Engel helle Lieder“ /“Engel auf den Feldern singen“. Hier umfasst das Gloria ganze jubelnde vier Takte.
Das populäre Lied heißt ursprünglich „Les Anges dans nos campagnes“ und ist seit dem 18. Jahrhundert in Frankreich überliefert. Schnell überschritt es die Grenzen, in England kennt man es als „Angels, from the realms of glory“.
Die Hirten spielen wegen der Verkündigung des Engels eine große Rolle im Weihnachtslied. Hirten sind Musikanten, und das spiegelt sich in ihren Liedern, zum Beispiel in „Kommet ihr Hirten“, dem bekannten böhmischen Weihnachtslied, das 1870 erstmals veröffentlicht wurde. Die Sackpfeife oder Schäferpfeife ist ein über 2000 Jahre altes traditionelles Hirteninstrument. Mit ihrem Klang sollen die Schafe beruhigt und dirigiert sowie Wölfe ferngehalten werden. Typisch ist die Bordunpfeife, die Basstöne zur Melodie hält. „Kommet, ihr Hirten“ ist von der Melodie her ganz instrumental angelegt. Die flinken Läufe symbolisieren die Eile, mit der die Hirten zur Krippe laufen. Der Bordungbass ist dabei jeweils auf der ersten Noten jeden Taktes mitgedacht.
Die Nachtigall ist der Vogel der Gottesmutter Maria. Und sie ist der Vogel des Frühlings. Deshalb setzt unser Lied die Naturgesetze außer Kraft, denn es handelt sich um einen Weckruf mitten im Winter. In „Lieb Nachtigall, wach auf soll das „schöne Vögelein“ zur Krippe fliegen und das Jesuskind mit seinem Gesang erfreuen. Solch ein Wunder ist die Christgeburt, dass der Frühlingsvogel seine Winterruhe dafür beendet.
Das Lied stammt aus dem Bamberger Gesangbuch von 1670, die Schöpfer des Textes und der Musik sind nicht bekannt. Mit seiner fröhlichen Melodie wartet „Lieb Nachtigall“ noch mit einer weiteren Besonderheit auf. Es handelt sich um ein barockes Figurengedicht. Der Text bildet ein Bild, und zwar den Abendmahlskelch.
Adeste, fideles gehört zu den Weihnachtsliedern, die in mehreren Ländern gesungen werden, in England, Deutschland und Frankreich. Das Lied stammt von dem Notenkopisten John Francis Wade, der 1745 wegen seines katholischen Glaubens nach Frankreich fliehen musste. Die französische Textfassung verdanken wir dem späteren Bischof Étienne-Jean-François Borderies, der wegen seines Glaubens in der Französischen Revolution nach England fliehen musste. Die bei deutschen Katholiken übliche Übersetzung „Nun freut euch, ihr Christen“ geht auf Borderies zurück, die evangelische Übersetzung „Herbei, o ihr Gläubgen“ auf Wade. Im Englischen gibt es mehrere Übersetzungen des lateinischen Textes, die bekannteste ist „O Come All Ye Faithfull“.
Viele Weihnachtslieder sind Wiegenlieder und thematisieren die Situation der jungen Eltern Maria und Josef. Oft fließen dabei eigene Lebenserfahrungen in die Texte ein, die damit die soziale Situation ihrer Entstehungszeit spiegeln. Das trifft für das schöne schlesische Lied „Auf dem Berge, da gehet der Wind“ zu. Das Heilige Paar ist so arm, dass Maria sich kein Wiegenband leisten kann. Sie muss die Wiege mit der Hand schaukeln, was anstrengend ist. Josef kann nicht helfen, weil er selbst die Finger kaum biegen kann. Daraus lässt sich schließen, dass der Zimmermann von Arthritis geplagt wird. Spannend ist die Wendung in Moll bei Josefs wörtlicher Rede, denn deutschsprachige Weihnachtslieder in Moll-Tonarten bilden die absolute Ausnahme.
Natürlich muss heute „Lasst uns froh und munter sein“ gesungen werden, das Nikolauslied aus dem 19. Jahrhundert, in dem die Kinder aufzählen, wie sie sich auf den Nikolaustag am 6. Dezember vorbereiten. Der Advent war früher eine Fastenzeit. Die Kinder hatten ohnehin nur selten Süßigkeiten und in der Fastenzeit gar keine. Unterbrochen wurde das Fasten vom bunten Nikolausteller. Viele Bräuche ranken sich um St. Nikolaus, den Schutzpatron der Kinder. Der Einlegebrauch, das nächtliche Füllen der Teller oder Schuhe, basiert auf der Legende von den drei Jungfrauen, die nachts von St. Nikolaus beschenkt wurden. Ursprünglich war der Nikolaustag der Tag der Weihnachtsbescherung. In einigen Ländern ist er dies auch heute noch.
Süßer die Glocken nie klingen“ gilt als Symbol für Weihnachtskitsch. Zu oft wurde das Stück in Dauerschleife abgenudelt. Daher ist es Zeit für eine Ehrenrettung.
Die Glocken läuten in der Heiligen Nacht den Weihnachtsfrieden ein, und in allen Sprachen Europas gibt es Weihnachtslieder, die das feierliche „Ding Dong“ thematisieren. Friedrich Wilhelm Kritzinger (1816 -1890) gehört zu den evangelischer Theologen und Pädagogen des 19. Jahrhunderts, die für den täglichen Gebrauch auch dichteten. Sein Weihnachtslied hat es - getreu der letzten Textzeile - einmal um den Erdball geschafft. Interessanterweise unterlegt Kritzinger dazu die Melodie eines thüringischen Volksliedes, in dem eine Abendglocke den Feierabend einläutet.
Nun komm, der Heiden Heilandist ein Adventslied Martin Luthers (1483–1546), das auf den altkirchlichen Hymnus Veni redemptor gentium des Ambrosius von Mailand (339–397) zurückgeht. Dieser Hymnus gilt als das älteste Weihnachtslied der Welt. Als Ambrosius ihn schrieb, war das Weihnachtsfest erst wenige Jahrzehnte alt. Luther hat den Hymnus ins Deutsche Übertragen. Die Melodie geht auf eine Handschrift des Benediktinerklosters Einsiedeln aus dem Jahr 1120 zurück, die möglicherweise aus der musikalischen Blütezeit des Klosters St. Gallen um 900 stammt. Der Lutherchoral war jahrhundertelang das lutherische Hauptlied der Adventszeit und ist vielfach für Orgel, Chor und andere Besetzungen bearbeitet worden.
Viele Adventslieder sind ursprünglich Marienlieder, so das beliebte „Maria durch ein Dornwald ging. Dabei handelt es sich um ein Wallfahrtslied aus dem Erzbistum Paderborn. Es wurde zunächst mündlich überliefert, die älteste gedruckte Fassung findet sich in einer Liedersammlung aus dem Jahr 1850. Dieses späte Datum steht im Gegensatz zum Eindruck, dass es sich bei „Maria durch ein Dornwald ging“ um ein besonders altes Lied handelt. Das liegt an dem archaisch anmutenden g-Moll und den aparten Intervallschritten der Melodie.
Erst die Jugendbewegung macht um 1910 „Maria durch ein Dornwald ging“ zu einem Adventslied. Nach 1945 entwickelt es sich zu einem der beliebtesten Weihnachtslieder überhaupt.
Erst im 18. Jahrhundert erobert das Weihnachtsfest die bürgerliche Wohnstube. Das verändert auch die Weihnachtslieder. Ab jetzt wird die christliche Botschaft oft mit stimmungsvollen Naturbildern verbunden. „Leise rieselt der Schnee“ ist ein schönes Beispiel dafür. Das Lied ist noch relativ jung; der evangelische Pfarrer Eduard Ebel (1839-1905) schrieb den Text 1895. Der Geistliche bezeichnete sein Werk selbst als Kinderlied. Es bewahrt die Ehrfurcht vor dem Zauber der Heiligen Nacht und betont den Advent als Zeit der Erwartung des Christkinds. Das Bild vom leise rieselnden Schnee und der im Frost still ruhenden Natur kontrastiert zur Herzenswärme, mit der die Menschen in dieser besonderen Zeit ihren Kummer und ihren Streit beiseitelegen (sollen).
Weihnachten 1635
Fast die Hälfte der Bevölkerung Europas ist tot, gestorben durch Hunger, Seuchen und Gewalt. Denn es ist Krieg. Der Dreißigjährige Krieg. Inmitten dieser Not schreibt der Jesuitenpater Friedrich Spee den verzweifelten Christen ein Lied. „Zu Bethlehem geboren“ verzichtet auf großes Wortgeklingel, es handelt sich um ein Schlaflied, es soll beruhigen und trösten. Weihnachtslieder haben Macht. Sie schenken Hoffnung und Überlebenswillen, sie entzünden ein kleines Licht der Menschlichkeit, wenn man denkt, alles wird immer dunkel bleiben. Kein Wunder also, dass gerade die heute bekanntesten Weihnachtslieder in schlechten Zeiten entstanden sind, mitten in Krankheit, Tod und Verfolgung.
Daran wollen wir mit unserem Liederprojekt im Advent 2020 erinnern. Denn auch wir sind durch die Corona-Pandemie verunsichert, wir haben Sorgen und Angst. Wann sollen wir denn Weihnachtslieder singen, wenn nicht jetzt?
Weihnachten 1815
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Weimar ist voll mit Kriegswaisen. Die Soldaten Napoleons haben jahrelang gebrandschatzt, geplündert und gemordet. Der Dichter Johannes Daniel Falk hat anderen Kummer. Vier seiner Kinder sind an Typhus gestorben. Doch er macht weiter. Zusammen mit seiner Frau Caroline nimmt er ab 1813 Kriegswaisen in seine so leer gewordene Privatwohnung auf, später gründet er im Lutherhof ein Waisenhaus. 1815 schenkt er diesen Kindern, deren Welt in Leid, Gewalt und Hunger verloren ging, ein Weihnachtslied: „O Du fröhliche“.
Falk erzieht seine Waisenkinder nach christlich-humanitären Idealen. Sie sollen Verantwortung füreinander übernehmen. Erziehung zur Freiheit durch Erziehung in Freiheit lautet sein Motto. „O Du fröhliche“ wird bis heute von Christen auf der ganzen Welt in vielen Sprachen gesungen.
Weihnachten 1818
Als die Napoleonischen Kriege vorbei sind, geht es nicht bergauf in Europa. Eine Naturkatastrophe erschüttert die Nordhalbkugel der Erde. Der Ausbruch des Vulkans Tambora im April 1815 in Indonesien verändert das Klima, führt zu einer „kleinen Eiszeit“ mit Schnee im Sommer 1816. Die Ernte wird nicht reif. Neue Hungersnöte folgen. Auch die Menschen in Oberndorf bei Salzburg hungern. Sie sind hoffnungslos. Da spielen ihnen der Hilfspfarrer Joseph Mohr und der Lehrer-Organist Franz Xaver Gruber am Heiligen Abend in der Kirche ein neues Lied vor. „Stille Nacht“. Bis heute ist „Stille Nacht“ in 320 Sprachen und Dialekte übersetzt und immaterielles Weltkulturerbe, rund um die Welt ein Hoffnungslicht in dunkler Zeit.
Weihnachten 1914
Erster Weltkrieg. Schlachtfeld in Flandern. Heiligabend. Deutsche Soldaten singen in ihren Gräben „Stille Nacht“. Die britischen Soldaten auf der anderen Seite antworten mit der Weihnachtshymne „O Come, All Ye Faithful“. Die Deutschen stimmen mit dem lateinischen Originaltext „Adeste fideles” oder der deutschen Version „Nun freut euch, ihr Christen“ ein. Der 25. Dezember 1914 wird zum Tag der Verbrüderung zwischen deutschen und zumeist britischen Soldaten. Mehr als 100.000 Männer sollen beteiligt gewesen sein. In die Geschichtsbücher geht dieses Ereignis als Weihnachtsfrieden ein. Die hohen Offiziere auf beiden Seiten toben. Sie verlangen, dass sofort weitergekämpft wird.
Weihnachten 1750
John Francis Wade ist von Beruf Notenkopist in England. Und er ist Katholik. Wegen seines Glaubens muss er nach dem zweiten Jakobitenaufstand 1745 nach Frankreich fliehen. Ihm verdanken wir die Überlieferung des Liedes „Adeste fideles“ / „O Came, All Ye Faithfull“; ob er auch der Autor ist, bleibt ungeklärt. Doch „Adeste fideles“ hat zwei Väter. Der Abbé und späteren Bischofs von Versailles Étienne-Jean-François Borderies muss während der Französischen Revolution wegen seines Glaubens nach England fliehen. Auf seine französische Textfassung geht die deutsche Version: „Nun freut Euch, Ihr Christen“ zurück.
Weihnachten 1622
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Die Verzweiflung will nicht weichen. Alle Zuversicht hat die Menschen verlassen. Der Dreißigjährige Krieg vernichtet Dörfer und Familien. Wen die Soldaten verschonen, der fällt der Hexenverfolgung zum Opfer. Der Jesuit Friedrich Spee ist leidenschaftlicher Anwalt der unschuldig verfolgten Frauen und Männer, die der Hexerei angeklagt werden. Machtlos steht er dem Wahn und dem Blutrausch gegenüber. Wirklich machtlos? Friedrich Spee schreibt ein Lied. „O Heiland, reiß die Himmel auf“. Einen so bitteren Ruf nach Gerechtigkeit hat die Christenheit noch nicht gehört. Der Choral fährt wie eine Anklage in die Welt: „Hier leiden wir die größte Not, vor Augen steht der ewig’ Tod“ heißt es und weiter: „Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt?“. O Komm, komm, ruft die Gemeinde, doch die Gerechtigkeit kommt nicht.
Friedrich Spee findet von irgendwo doch Zuversicht. Er hilft weiter den Unschuldigen und Verfolgten. Bei der Pflege von kranken Soldaten steckt er sich mit der Pest an und stirbt daran 1635. Vorher hat er noch „Zu Bethlehem geboren“ geschrieben. Als Wiegenlied für die gequälten Menschenseelen dieser Welt.
Weihnachten 2020:
Wird es eine Stille Nacht? Lieder gehören zu Weihnachten wie Plätzchen und Christbäume. Doch die ganzen besinnlichen Konzerte fallen aus. Was tun? Wir empfehlen: Selber singen. Mit unserem Liederprojekt machen wir es Ihnen leicht. Täglich stellen wir Ihnen bis zum 24. Dezember in der Zeitung ein Advents- oder Weihnachtslied vor. Bei uns gibt es dazu das Notenblatt und Audiodateien zum Herunterladen bzw. Ausdrucken. Wer also nicht mehr sicher ist, wie ein Text oder eine Melodie geht oder sich schämt hat, ohne Unterstützung, eine Melodie anzustimmen, kann damit angstfrei und problemlos einsteigen. Es lohnt sich. Sie werden überrascht sein, wieviel Freude und Geborgenheit das Singen von Weihnachtsliedern in der Familie schafft. Singen ist ein mächtiger Angstlöser. Daher sollte man sich auch trauen, alleine Weihnachtslieder zu singen oder mit den Nachbarn im Garten oder auf dem Balkon.
Hier geht es zu den Noten und Audiodateien:
O Heiland, reiß die Himmel auf
Der Jesuitenpater Friedrich Spee ist heute wegen seines Kampf gegen die Hexenverbrennungen bekannt. Der Düsseldorfer lehrte unter anderem in Paderborn. Um die Inhalte seiner Vorlesungen gab es wegen seiner Position zur Hexenverfolgung soviel Streit, dass der Orden ihn nach Trier versetzte. Dort wirkte er unter anderem als Beichtvater in Gefängnissen und Krankenhäusern und steckte sich bei der Betreuung von pestkranken Soldaten an. Spee starb 1635 im Alter von nur 44 Jahren. Die Katastrophen seiner Zeit hat der Priester in 52 geistlichen Liedern verarbeitet, von denen viele heute noch gesungen werden. Das erschütterndste von ihnen ist „O Heiland, reiß die Himmel auf“ aus dem Jahr 1622, das von der Sehnsucht einer verwüsteten Gesellschaft nach Frieden und Gerechtigkeit erzählt.
Kling, Glöckchen, klingelingeling
Kinder lieben Wortspiele und ungewöhnliche Wörter, besonders, wenn sie auch noch lautmalerisch sind. Daher gehört „Kling, Glöckchen, klingelingeling“ zu den beliebtesten Weihnachtsliedern für Kinder und soll heute unser Liederprojekt starten. Es eignet sich aufgrund der fröhlichen Melodie und des geringen Tonumfangs sehr gut, um mit der ganzen Familie gesungen zu werden.
„Klingglöckchen“ wurde von dem Frankfurter Lehrer Karl Enslin (1819–1875) im Jahr 1854 gedichtet. In jener Zeit bemühten sich zahlreiche Pfarrer und Lehrer um eine Reformpädagogik, in denen Jungen und Mädchen die Jahreszeiten und Feste mit leicht fasslichen Gedichten nahegebracht werden sollten. Wer die Melodie von „Klingglöckchen“ komponiert hat, bleibt unbekannt (Mit freundlicher Unterstützung des Carus-Verlages).