Duisburg. Michael Beckmann, Chef im Duisburger „Filmforum“, sieht die Kinos auch langfristig in Gefahr. Er fordert politischen Konsens, Kinos zu retten.

Zu den Kultureinrichtungen, die durch den Lockdown besonders gefährdet sind, gehören die Kinos. Darüber und über langfristige Perspektiven sprach Jens Dirksen mit Michael Beckmann , dem Leiter des Duisburger Filmforums.

Herr Beckmann, die Kinos leiden und leiden…

Beckmann: Und sie leiden umso mehr darunter, dass im November alle Einnahmen weggefallen sind, weil mit dem November normalerweise die Zeit im Jahr beginnt, in der ein Kino das Geld für ein ganzes Jahr verdient. Von November bis in den späten März legen sich Kinos den Speck zu, von dem sie in den häufig harten Sommermonaten zehren.

Ah, und die Open-Air-Kino-Saison dient im Sommer dann dazu, rückläufige Einnahmen zu kompensieren, wenn alle lieber ins Freibad und in den Biergarten gehen statt ins Kino?

Genau. Die Open-Air-Kinos sind eine schöne Gelegenheit, die Rückgänge ein wenig aufzufangen.

Und jetzt kommt wahrscheinlich noch eine Verlängerung des Lockdowns für Kulturbetriebe.

Das hat wohl jeder realistisch denkende Kinobetreiber befürchtet. Wir sind alle keine Virologen oder Epidemiologen, wir sind Kinobetreiber. Also führen wir keine Diskussionen über die Sinnhaftigkeit eines Lockdowns. Aber in der Zeit, als die Gesundheitsämter noch Ansteckungs-Ketten verfolgt haben, hat es bei uns nicht einen Anruf gegeben, bei dem nach den Daten gefragt worden wäre, die wir alle erhoben haben. Ich weiß auch bundesweit von keinem Kollegen, dass irgendwo in einem Kino ein Fall von Ansteckung vorgekommen wäre.

Und trotzdem sind sie alle geschlossen.

Ich bin nicht sicher, ob die Kinos das in ihrer Gesamtheit überleben. Wir laufen auf sehr, sehr harte Zeiten zu. Denn je länger die Pandemie dauert, desto mehr bleiben die Menschen auch weg, weil sie sich in den Kinos nicht mehr richtig sicher fühlen – wenn die Kinos so lange auf behördliche Anordnung geschlossen bleiben, besteht die Gefahr, dass sich immer mehr der Eindruck festsetzt, es könnte im Kino doch ein erhöhtes Ansteckungsrisiko geben. Ein Raum wie das Kino wird da schon unbewusst immer mehr als hygienisch fragwürdig eingeordnet und stigmatisiert.

Was nicht so ist?

Sehr viele Kinos haben inzwischen Lüftungsanlagen, die innerhalb von kurzer Zeit die gesamte Luft im Raum austauschen. Ohne Umluftanteil: 100% Frischluft in den Saal, 100% Abluft aus dem Saal. Sicherer geht es doch kaum. Nicht umsonst gehen Schulen mit ihrem Unterricht verstärkt in Kinos, weil sie bessere Voraussetzungen kaum finden können.

Und Sie glauben nicht, dass die Leute trotzdem irgendwann wieder Vertrauen zu Kinos fassen und zurückkehren?

Doch, das glaube ich schon. Ich glaube an die Faszination des Gemeinschaftserlebnisses Kino, an die Wirkung der großen Leinwand, all das, was man als Streaming-Junkie, zu dem jetzt viele geworden sind, nicht haben kann. Aber es wird so sein, dass es dann für das eine oder andere Kino schon zu spät ist.

Warum?

In der Kino-Branche ist es wie im Einzelhandel: Es bleibt schon in normalen Zeiten wenig von den Einnahmen hängen, weil die Kostenstruktur eher ungünstig ist und die Rendite entsprechend schwach ausfällt. Da wirkt der Lockdown jetzt wie ein Brandverstärker. Stellen Sie sich vor, eine Normalisierung dauert noch ein Jahr, dann hatten Sie in der Zeit dazwischen eine Art Ziehharmonika-Effekt von Öffnen und Schließen mit langen Phasen der Ungewissheit. Und wo sind denn all die neuen Filme, die man dann zeigen könnte, wenn es wieder losgeht? Es dauert, bis die wieder von den Filmverleihern, die ja auch nicht planen können, zur Verfügung gestellt werden, weil auch die Herausbringung und das Marketing einen gewissen Vorlauf benötigen. Dazu kommt, dass es auch in der Produktion Verzögerungen gegeben hat und die Filme entsprechend später zur Verfügung stehen können.

Dann zeigt man halt Klassiker.

Das kann man einmal machen, ja. Aber dann? Das Publikum für solche Reprisen ist doch eher begrenzt. Sonst würde man ja nicht ständig so viele neue Filme produzieren. Und es gibt eine weitere, einschneidende Entwicklung, deren Folgen man jetzt noch gar nicht absehen kann.

Und die wäre?

Die Frage, für wen Filme produziert werden. Es findet ja zurzeit eine gewaltige Verschiebung von klassischen Hollywood-Studios und Verleihern zu den Streaming-Diensten statt…

Symptomatisch, dass Netflix 600 Millionen Dollar dafür geboten haben soll, ein Jahr den neuen Bond zeigen zu dürfen, statt ihn in den Kinos starten zu lassen.

Ach, das ist doch nur, weil Corona den Start bislang verhindert hat. Aber nein, es gibt ja längst eine ganze Menge Filme und Projekte, die zum Beispiel Netflix, Amazon, Disney+ und Apple selbst produzieren, von Martin Scorseses „Irishman“ bis zur geplanten Komödie „Don’t Look Up“ mit Leonardo DiCaprio. Der neue Fincher, Woody Allen oder Ron Howard läuft eben nicht mehr zunächst exklusiv im Kino. Was das langfristig für die Kinos bedeutet, ist noch gar nicht abzusehen.

Was folgt für Sie aus alledem? Sind Sie zur Ohnmacht verurteilt?

Es ist die Frage, ob dieses ständig verfügbare Kulturangebot der Kinos in Deutschland dauerhaft erhalten bleibt. Antworten müssen die Kinobetreiber für sich finden, aber auch einfordern. Wir brauchen einen gesellschaftlichen, einen politischen Konsens dazu – mit dem Ergebnis, dass die Kinos gerettet werden müssen.