Essen. Einst war Eva Völler Richterin, heute schreibt die 64-Jährige Romane. Ihre „Ruhrpottsaga“ stürmt gerade die Bestsellerlisten. Ein Porträt.

Ein Zechenhäuschen in Essen-Fischlaken und seine Bewohner haben es auf die Bestsellerliste geschafft: Soeben ist der zweite Teil von Eva Völlers „Ruhrpottsaga“ auf Platz fünf der Spiegel-Paperback-Liste eingestiegen. Einmal mehr verbindet „Ein Gefühl von Hoffnung“ das Kleineleute-Dasein mit dem ganz großen Gefühl; in Oma Mines gemütlicher Küche, auf deren Kohleherd immer Sauerkraut und Bratwurst vor sich hin zu köcheln scheinen, gibt es ebenso reichlich Anlass zu verzweifelter Trauer wie zu überschäumender Freude.

Tatsächlich schreibt hier eine Autorin, die nicht nur ihr Handwerk versteht, sondern auch ihre Figuren – die die Enge der kleinen Arbeiterhäuschen kennt und die Größe der Träume, die darin durchaus Platz finden. Eva Völler , 1956 in Velbert geboren, hat ihre ersten Lebensjahre bei ihren Großeltern verbracht: „Sie hatten ein ebensolches Siedlungshäuschen, wie ich es beschreibe – mit Kohleofen und großem Garten und Plumpsklo im Keller. Mein Vater war Arbeiter, meine Mutter war Hausfrau, ich habe noch drei jüngere Geschwister: Die Familie hatte einfach kein Geld für eine eigene Wohnung. Das war so üblich, dass junge Familien zu den Eltern zogen. Und die machten dann Platz.“ So, wie es auch in der Ruhrpottsaga ist: Da wächst der kleine Jakob auf bei seiner Großmutter Mine, gemeinsam mit Vater Johannes und seinen Halbschwestern Inge und Bärbel.

„Teilweise habe ich die Armut schon als solche empfunden“, sagt Eva Völler

Und auch das Gefühl, immer nur die Wintermäntel der älteren Schwester auftragen zu müssen (was Bärbel quält, wenn sie sich mit ihren Freundinnen auf der Werdener Brehminsel trifft), das kennt Eva Völler. „Teilweise habe ich die Armut schon als solche empfunden.“ Die Mitschülerinnen auf dem Velberter Mädchengymnasium hatten „die schöneren Schuhe, die schickeren Ranzen“; im Alter von 14 Jahren nahm Eva Völler ihren ersten Ferienjob an: „Da habe ich mir Geld verdient: in der Fabrik am Fließband, an Fräsmaschinen, Bohrmaschinen. Und von meinem eigenen Geld habe ich mir dann Kleidung gekauft! Später habe ich abends an der VHS Schreibmaschine und Steno gelernt, da konnte ich dann im Büro arbeiten. Das habe ich auch in allen Semesterferien gemacht. Ich war einfach selbst dafür verantwortlich, dass ich mir etwas gönnen konnte – das hat sich durchaus wie ein roter Faden durch mein Leben gezogen.“

Dass die vier Kinder überhaupt aufs Gymnasium gehen durften, dass sie studieren konnten, „das war damals phänomenal“: „Das war nur möglich, weil die höhere Schule da kein Geld mehr kostete“. Später ebnete das frisch erdachte Bafög Eva Völler den Weg ins Jurastudium. Sie wurde Richterin am Landgericht Darmstadt. Als die Kinder kamen (fünf sind es, drei Mädchen und zwei Jungen), da gründete Völler eine eigene Kanzlei: „Das war besser mit der Familie zu vereinbaren.“

Das Schreiben war eigentlich als ein Hobby gedacht, als „eine Entspannung“

Und das Schreiben? War eigentlich als ein Hobby gedacht, als „eine Entspannung“. Dann aber fand Eva Völler überraschend schnell einen Verlag, veröffentlichte zunächst „amüsante Frauen-Geschichten“, später auch eine Jugendbuch-Reihe und historische Romane; Eva Völlers Wikipedia-Eintrag zählt sieben Autorinnen-Pseudonyme auf und eine staunenswerte Zahl von Büchern. Aus dem Hobby war Hauptberuf geworden.

Die Ruhrpottsaga aber war eine lange gehegte Herzensangelegenheit. „Ich hatte sehr lange schon den Wunsch, eine Art Heimatroman zu schreiben. Als die letzten Zechen schlossen, hatte ich das Gefühl: Jetzt ist die Zeit gekommen.“ Und so lässt die 64-Jährige das alte Ruhrgebiet noch einmal höchst lebendig werden: Die Hespertalbahn ist nicht nur Ausflugsdampfer auf Schienen, sondern bringt Arbeiter zur Zeche Pörtingsiepen. Der Staub dringt durch jede Fensterritze, trotzdem ist das Ruhrwasser im Baldeneysee allemal gut genug zum Baden. Und Silvester feiert Inge, die eine Ausbildung zur Buchhändlerin macht, mit ihrem Verlobten in einem Hotel in Winterberg – was für eine aufregende Reise!

„Ich selbst musste mir damals oft gefallen lassen, gönnerhaft belächelt zu werden.“

Endete der erste Teil der Saga („Ein Traum vom Glück“) mit der Geburt des kleinen Jakob, die ihn zugleich zum Waisen machte, besucht er nun schon die Grundschule: Wir schreiben das Jahr 1959. Seinetwegen zögert Inge die Hochzeit mit ihrem Verlobten heraus, aber vielleicht auch nicht nur seinetwegen? Die Abende mit Johannes, die Gespräche über Bücher, die würde sie wohl auch vermissen… Und auch Johannes will nicht weg, will nicht zu seiner Freundin Hanna nach Düsseldorf ziehen, die dort eine Galerie betreibt.

Starke Frauen erfindet Eva Völler, und dies ganz bewusst. „Ich selbst musste mir damals oft gefallen lassen, gönnerhaft belächelt zu werden von den Herren der Schöpfung – das kann mich rückblickend noch aufregen!“ Und so geht es ihr auch darum, ihren Leserinnen eine „innere Einstellung“ zu vermitteln: „Sich als Frau nie abhängen und nie kleinmachen zu lassen.“ Ebenso souverän aber lässt Völler ihre Heldinnen schon mal in die Arme eines Mannes sinken, denn: „Trotzdem darf die Liebe in der Geschichte nicht zu kurz kommen, sie trägt das Drama, treibt die Handlung voran und macht die Figuren lebendig. Das ist so eine gewisse Notwendigkeit, wenn man Unterhaltungsromane schreibt.“

Unterhaltungsromane? Jetzt macht eventuell die Autorin sich selbst klein. Unterhaltend ist ihre Saga durchaus, aber noch weit mehr als das: Ihre Zeitreise ist so detail- und facettenreich, so lebendig und anschaulich, dass man auf den dritten Teil gespannt sein darf: denn der wird, verrät Eva Völler, ins wilde Jahr 1968 führen.