Karl Ove Knausgårds Romandebüt „Aus der Welt“ entfachte einst einen Skandal. Erst jetzt erscheint das Werk von 1998 in deutscher Übersetzung.

Dies ist das Romandebüt eines 29-jährigen Autors von knapp tausend Seiten. Geschrieben wurde es vom Januar 1997 bis zum April 1998 – und geehrt mit dem wichtigsten Literaturpreis Norwegens, den Kritikerprisen, den vorher noch nie ein Debütant bekam. Mit äußerster Genauigkeit hatte da einer die Geworfenheit eines jungen Mannes zum Thema gemacht. Es ging um nicht weniger als das Dilemma des Individuums in der Moderne. Der Erfolg des Karl Ove Knausgård begann.

Vergleiche mit Proust und Joyce ließen nach dem Debüt nicht auf sich warten

Vergleiche mit Proust, Hamsun, Joyce und vor allem Nabokov ließen nicht lange auf sich warten. Wie auch nicht, ist der weit mäandernde Roman doch auch eine Lolita-Geschichte. Die sorgte auch wegen der Beschreibung der entsprechenden Szenen dafür, dass es mit diesem Buch dann noch einmal eine andere Wendung nahm. Gut anderthalb Jahrzehnte später erschien der Roman in Schweden, wo Knausgård mit seiner zweiten Ehefrau lebte, und produzierte dort einen landesweit wahrgenommenen Skandal, der sich um Pädophilie und die Allmacht dominanter Männer drehte. Der sich missverstanden fühlende Knausgård verließ das Land gen London, nicht ohne vorher ausführlich geantwortet zu haben. Da war der Welterfolg des Autors mit seinem sechsbändigen Romanzyklus „Min kamp“ bereits im Gange.

Umso überraschender ist es, wie unbekannt der Debütroman über Skandinavien hinaus geblieben ist. Nun erst erscheint er in wieder exzellenter Übertragung von Paul Berf auf Deutsch. Im Zentrum steht der 26-jährige Henrik Vankel, der als Aushilfslehrer für ein Jahr in ein Kaff ins nördlichste Norwegen geht. Vorm Dauerrauschen des Meeres leben hier dreihundert Seelen von der Fischverarbeitung.

„Diese unendlich charmanten, dreizehn Jahre alten Mädchen“

Henrik Vankel ist hier ein Außenseiter, der sich durch die Tage raucht und säuft, wobei seine Verklemmtheit gegenüber dem weiblichen Geschlecht den Grundton abgibt. Unerfülltes Begehren durchzieht das Leben des Scheidungskindes, das nun nach sechs Jahren Studium in Bergen hier seine erste Stelle angetreten hat, wo er „diese unendlich charmanten, dreizehn Jahre alten Mädchen“ unterrichtet, begafft und begehrt. Sie erscheinen ihm wie adlige Prinzessinnen in ihrer Welt aus Glamour und Romantik.

Zu einem Mädchen namens Miriam verspürt er bald eine geheime Verbindung. Er besucht sie, lädt sie ein, landet im Bett mit ihr, versagt, beim zweiten Mal ist er behutsamer, dann vergessen sie die Zeit, und weil das halb so alte Mädchen am anderen Morgen noch immer bei ihm liegt, verlässt er aus Entdeckensangst fluchtartig auf Nimmerwiedersehen den Ort.

Nach acht Jahren geht er zurück nach Kristiansand, wo seine Verwandten leben, mit denen er schon lange nichts mehr zu tun hat und denen er sich in den folgenden Romanteilen nähert wie Gespenstern. Auf die gescheiterte Reise in den Norden folgt nun eine „Expedition in die Tiefe deiner selbst“ mit einer klar formulierten Intention: „Jemand sein, der mit klinischer Distanz analysiert, was sich abgespielt hat, jemand, der versteht.“ Das ist die auch hier brillant durchgespielte Formel des Knausgård-Erfolgs.

Grandios fließender Stil jenseits allen Moralisierens

Es ist schlicht überwältigend, was er mit langem, sehr langem Atem multiperspektivisch entwickelt an Familiengeschichten, Pubertätsbegehren, wissenschaftlichen Essays, surrealen Phantasmen, Liebes- und Lebensgeschichten, Biografie-Erfindungen von Dante bis Kant, Pornoexkursen, Situationsschilderungen, Ich-Durchleuchtungen.

Man liest und liest gebannt und verblüfft staunend, wie sich das alles fügt in diesem grandios fließenden Stil jenseits allen Moralisierens.

Karl Ove Knausgård: Aus der Welt. Luchterhand, 926 S., 26 €