Essen. Geschlossene Theater, Museen und Kinos: Das Land erlebt den zweiten Lockdown. Wie sinnvoll sind die Maßnahmen? Drei persönliche Betrachtungen.

Wie sinnvoll sind die rigorosen Schließungen von Theater, Museum und Co.? Unsere Redaktion äußert sich zu Wort – mit drei persönlichen Betrachtungen zum Lockdown im Kulturbereich.

Warum nicht differenzieren?

Lange bevor Anfang Mai Museen wieder öffnen durften, hatte das Bochumer Museum unter Tage ein Hygiene-Konzept entwickelt, das sorgfältiger und strenger war als alles, was danach an Regeln kam. Aus dem NRW-Kulturministerium war ein inoffizielles Okay gekommen, vorbehaltlich der Genehmigung durchs örtliche Gesundheitsamt. Dort aber fürchtete man die Signalwirkung einer Ausnahme...

Jens Dirksen.
Jens Dirksen. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Opern und Theater, Gaststätten und Kinos haben im Sommer ein Höchstmaß an Flexibilität, Einfallsreichtum und Organisationskraft gezeigt. Auch sie sind nicht über einen Kamm zu scheren – die einen haben eine Klimaanlage, die schnell die komplette Raumluft austauscht, andere nicht. Bei den einen guckt das Publikum immer in dieselbe Richtung, bei anderen nicht. Sollte man da nicht differenzierte Kriterien für eine Öffnung entwickeln, ein Punktesystem vielleicht? Für vier Wochen „Lockdown light“ viel Aufwand? Ach, wir werden mit dem Virus noch Jahre zu tun haben – selbst wenn es einen Impfstoff gibt, wird es noch mal Monate dauern, bis die Vernünftigen unter den 80 Millionen hierzulande geimpft sind.

Museen könnte man allerdings, mit rigider Besucherbeschränkung, jetzt schon öffnen. Klimaanlagen haben sie alle, hohe Räume mit Volumen zur Verteilung von Aerosolen auch. Kunst- und Geschichtsinteressierte sind keine Rockfans, die das Bad in der Menge suchen: Sie sind froh, die Gegenstände ihrer Bewunderung mit möglichst wenig anderen teilen zu müssen. Für halb so viele Besucher würden sie vielleicht sogar den doppelten Eintritt bezahlen.

Keinen in Versuchung führen

Britta Heidemann.
Britta Heidemann. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Bis auf wenige Bestseller-Ausnahmen leben Autorinnen und Autoren vor allem vom Abendhonorar. Nicht nur kleinere Lesungen vor reduziertem Publikum in Buchhandlungen, selbst Festivals wie die Lit.Ruhr waren zuletzt mit Abstand durchaus zu genießen: Von Platzanweiserinnen bis zum eigenen Sitz geleitet, durften die Besucher sich maximal sicher fühlen. Warum also die Schriftstellerinnen und Schriftsteller vom Broterwerb abhalten? Warum sie zu Bittstellern machen?

Und doch ist es richtig, selbst Lesungen zu verbieten. Der verständliche Wunsch, Kultur gemeinsam zu genießen, sich mit Freunden auf den Weg zu machen – er scheint einfach nicht mehr zeitgemäß. Die vier, fünf grauhaarigen Damen, die bei der Lit.Ruhr-Premierenlesung nebeneinander saßen und über dem Programmheft die Köpfe zusammensteckten, sie wohnten sicher nicht in einem Haushalt. Niemanden auch nur in Versuchung zu führen, den persönlichen Ermessensspielraum möglichst einzuschränken, dies muss das übergeordnete Ziel einer wirksamen Pandemie-Bekämpfung sein. Dies gilt für Fußball - ebenso wie für Literatur-Fans

Rein strategische Schließung

Lars von der Gönna.
Lars von der Gönna. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

An keinem Ort, außer in meinen eigenen vier Wänden habe ich mich zuletzt so sicher gefühlt wie im Theater oder Konzertsaal. Enorme Abstände, penibelste Einlassbedingungen: Manche Arztpraxis hätte davon lernen können. Die neuerliche Schließung in der Kultur kann ich nur strategisch deuten. Sie hat in meinen Augen nichts mit der eigentlichen Gefahrenlage zu tun. In Zeiten einbrechender Volksparteien waren Politiker vielleicht noch nie so getrieben wie heute von der Angst, als instinktlose Elite dazustehen. Dass in den Kommunen Hallenbad gegen Schauspielhaus ausgespielt wird, haben sie gelernt. Corona schürt diese Angst vor dem Vorwurf, Unterschiede zu machen. Unterschiede zwischen Stadion und Opernhaus, einer Kneipe und einem minimal gefüllten 1000-Plätze-Kino. Dabei wären genau das die besseren Maßnahmen gewesen.

Das Ergebnis ist ein gespenstischer Unfug. Genau wie das Argument, die größte Gefahr beim Kulturbesuch sei nun das Ausgehen an sich. Die Unbelehrbaren, Uneinsichtigen, die täglich die Regeln von Abstand und Zurückhaltung missachten, wird in ihrer hemmungslosen Gier nach Geselligkeit kein geschlossener Vorhang in die Schranken weisen.