Monheim. Hoch gehypt, hoch gehandelt, aber von der Kunstszene nicht hochgeschätzt: Monheim zeigt den jungen Malerstar Leon Löwentraut

Manchmal wünscht man Leon Löwentraut ja, Erfolg in der Kunst wäre so leicht zu messen wie, sagen wir, im Tennis. Dann wüsste er, wo er steht in der Rangliste. Und die Zuschauer auch. Denn Leon Löwentraut, das ist der Shooting-Star der deutschen Kunstszene – und das auch schon seit fünf Jahren, dabei ist der Bursche erst 22. Und je nachdem, welche Quellen man heranzieht, ist er entweder ein Hochbegabter oder ein Hochgehypter.

Immerhin, man kann sich derzeit mal wieder selbst ein Bild machen von den Arbeiten des 22-Jährigen, dessen Arbeiten jetzt für rund einen Monat in der Kulturraffinerie in Monheim ausgestellt werden. Diese Kulturraffinerie muss schaffen, was Löwentraut bereits gelungen ist: Aus dem Schatten heraustreten und sich einen Namen machen. Denn noch sind es ein paar ungenutzte, schöne, denkmalgeschützte Hallen der ehemaligen Shell-Fassabfüllanlage, dort wo das neureiche Monheim sich für 100 Millionen Euro eben dieses Kulturzentrum an der Rheinfront schenkt – nach Löwentraut wird umgebaut, bis 2023.

Der erste Bulldozer ist schon da und ermöglicht Löwentraut eine standesgemäße Anreise in der Baggerschaufel: Ein Mann will nach oben, nimmt dafür ungewöhnliche Vehikel, an deren Hebel andere sitzen, die ihn jederzeit auf den Boden werfen könnten. Aber vielleicht ist das ja zu viel hineininterpretiert in den Auftritt.

Erstaunliche Einblicke in die Produktionsweise der Bilder

Drinnen, in den lichten Hallen, jedenfalls sind derzeit vier Sperrholzkuben in grellem Orangerot, und darin zeigt Leon Löwentraut seine Werkschau – und gibt durchaus erstaunliche Einblicke in seine Produktionsweisen. Teils mit Kalkül, teils unwillkürlich. Und manchmal hat man schon fast ein bisschen Mitleid und möchte mehr wissen über die Binnendynamik dieser Familie. Man fühlt man sich an die Frühphase von Boris Becker erinnert: Hier ist es der Vater, dort der väterliche Trainer Günther Bosch, der auf der Tribüne saß und vor Stolz fast platzte über den hochtalentierten Nachwuchs.

Farbenfroh, kringelig und verdammt fett signiert: Ein Löwentraut auf der Wand der Kulturraffinerie Monheim.
Farbenfroh, kringelig und verdammt fett signiert: Ein Löwentraut auf der Wand der Kulturraffinerie Monheim. © André Hirtz /FFS | Foto

Auch hier schreiten zwei blonde Männer durch die Hallen, auch hier zieht Vater Jörg Löwentraut im Hintergrund Fäden mit Galeristen und dem Hausherrn, Intendant Martin Witkowski, und vermeidet es sorgsam, mit seinem Sohn auf Fotos zu erscheinen. Damit vor der Kamera nur zu sehen ist, was zu sehen sein soll. Dazu gehören selbstverständlich die Werke. Löwentraut liebt es meist großformatig und bunt und hat mit großen Schwüngen grellbunte Farben auf Leinwände getropft, meist in Kreisen und Kurven, aus denen er seine Formen entwickelt, Gesichter und Schemen. So ist sein Zyklus über die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Unesco entstanden. Auf das Sujet muss man ersteinmal kommen.

Ausstellungen in St. Petersburg und Florenz. Das klingt toll - zunächst.

Dass das womöglich mit der Bekanntschaft mit der UN-Sonderbotschafterin und Charity-Lady Ute-Henriette Ohoven zu tun hat, lässt sich nicht genau ermitteln, es hat ihm jedenfalls Türen geöffnet, Landtag und Bundestag haben seine Werke angekauft, ansonsten liest sich seine Ausstellungsvita wie eine Liste von Weltstädten. Bloß sind es keine Museen, sondern Galerien. Bedeutet: Hoch gehandelt, aber nicht unbedingt hochgeschätzt.

Mit einigen wenigen Ausnahmen. Museen in St. Petersburg und Florenz klingen zwar toll. Aber Puschkin in Petersburg ist nicht das berühmte Puschkin-Museum in Moskau. Auch in Florenz war es eher ein Zweitligist, der seine Werke zeigte. Das Osthaus-Museum im verarmten Hagen ist neben einem Haus in Lüdinghausen bisher das einzige hiesige Museum, das dem jungen Maler, der vom akademischen Betrieb abgelehnt wurde und wird, die Türen geöffnet hat.

Natürlich hat Löwentraut auch was zum Lockdown gemalt: Vier etwas weniger grellbunte, aber ebenso große Bilder, die auf vier noch größeren Wänden zu sehen sind. Dann gibt es einen weiteren Kubus, jeweils vier scheinbar gleiche Bilder hängen nebeneinander. Erst bei genauerem Hinsehen entdeckt man leichte Differenzen, so wie bei den „Finden Sie zehn Unterschiede!“-Bildern in der Zeitung. Löwentraut hat seine Kurven, Kreise und Linien auf vorgefertigte Leinwanddrucke aufgetragen. Wie viel Individualität in jedem Bild stecken mag? Löwentraut kann es auch auf Nachfrage nicht sagen, beschwört aber sicherheitshalber noch einmal, Hand angelegt zu haben.

„Character“ heißt die erste Großskulptur von Leon Löwentraut, einen genaueren Blick verdienen hingegen die Kohlezeichnungen im Hintergrund.
„Character“ heißt die erste Großskulptur von Leon Löwentraut, einen genaueren Blick verdienen hingegen die Kohlezeichnungen im Hintergrund. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Was ist gewollt? Und was vielleicht einfach nicht gekonnt?

So wie bei den Zeichnungen, die in dem Kubus mit seiner ersten Großskulptur namens „Character“ stehen, bei der man sich erneut fragt: Wie viel ist gewollt? Und was ist vielleicht einfach nicht gekonnt? Sehr zurecht sagt Löwentraut, hinter seinem eigenen Strich kann man sich nicht verstecken, es ist die Grundlage von allem. Und zudem sind es Werke, die nicht sofort danach schreien, hochdekorativ in Büros von Anwaltskanzleien, Privatarztpraxen und Vermögensberatungen (und des NRW-Landtags!) zu hängen. Man kann sich tatsächlich ein wenig verlieben in Kohle-Skizzen von Frauengestalten, die „TikTok“ oder „Manhattan Flow“ heißen und zumindest eine Prise Picasso als Zitat enthalten.

Wer weiß? Falls Löwentraut eines Tages beginnt, seinen (auch) mit Geld und Einfluss geebneten Weg in die Szene, zu hinterfragen und die Frage von Inszenierung und Substanz künstlerisch zu bearbeiten – das wäre womöglich dann doch noch ganz großes Tennis.

Bis zum 19. Oktober, do-fr 17 bis 21 Uhr, sa 14 bis 21 Uhr, so 12 bis 21 Uhr, zu sehen. Eintritt: 5 Euro. https://www.monheimer-kulturwerke.de/