Essen. Der Bestseller-Autor Ken Follett beschreibt in seinem neuen Buch „Der Morgen einer neuen Zeit“ die Vorgeschichte des fiktiven Ortes Kingsbridge.

Ein Bootsbauer, ein Mönch, eine Grafentochter und ein skrupelloser Bischof sind die Protagonisten in Ken Folletts neuem Roman „Der Morgen einer neuen Zeit“. Das Epos erzählt die Vorgeschichte des fiktiven Ortes Kingsbridge, den die Leser seit „Die Säulen der Erde“ kennen. Wolfgang Platzeck sprach mit Ken Follett über den vierten Band der „Kingsbridge“-Reihe.

Warum sind Sie nach „Das Fundament der Ewigkeit“, das in der Zeit von Elisabeth I. und Maria Stuart spielt, zurück ins Mittelalter gesprungen?

Ken Follett: Mich hat interessiert, wie aus einem unbedeutenden Weiler eine bedeutende Stadt werden konnte. Und der Roman sollte um das Jahr 1000 spielen, als in England drei mächtige Gruppen um die Vorherrschaft rangen: Angelsachsen, Wikinger und Normannen.

Der Roman beginnt mit den Zerstörungen der Wikinger. Welche Rolle spielen diese „Dänen“ in der Geschichte Englands?

Es gibt noch heute Spuren. So war jeder Ort, dessen Namen mit einem „ham“ endet, wohl ursprünglich eine Wikingersiedlung. Die Überfälle der Wikinger begannen um 800, und um 1000 waren so viele geblieben, dass große Teile Englands unter ihrer Kontrolle standen.

Physische Zeugnisse gibt es aber kaum.

Weil Wikinger wie Angelsachsen meist aus Holz bauten. Wir haben nur wenige Artefakte wie Waffen und einen einzigen Helm, den berühmten Goldhelm von Sutton Hoo. Doch auch wenn sie wenig Sichtbares hinterlassen haben, zwei Jahrhunderte lang waren sie schreckliche Realität.

Hat der Mangel an handfesten Fakten Ihre Fantasie beflügelt?

Informationen inspirieren mich stärker. Je mehr ich über eine historische Periode herausfinden kann, desto mehr wird meine Vorstellungskraft angeregt. Es gibt allerdings zwei reiche Quellen. Die eine ist der Teppich von Bayeux. Die Stickereien aus dem 11. Jahrhundert erzählen wie ein Comic-Strip die Geschichte der normannischen Eroberung, zeigen aber auch viele Szenen aus dem Alltagsleben. Die andere Quelle ist das Wikingerschiff-Museum in Oslo.

Kann man sagen, Hauptthemen des Romans sind der Verlust von Kultur und Zivilisation und das Bemühen, verlorene Errungenschaften zurückzugewinnen?

Das bringt es auf den Punkt. Die römische Kultur war in ganz Europa verloren gegangen. Doch um das Jahr 1000 beginnt die Renaissance der europäischen Kultur. Wir reden immer von der Renaissance im 14. und 15. Jahrhundert, aber tatsächlich beginnt sie im Mittelalter. Mein Roman spielt in dem Moment, als die Menschen anfingen, jene Zivilisation wieder aufzubauen, die nach dem Abzug der Römer verschwunden war.

Bei Ihren Charakteren ragt eine Figur heraus: die Grafentochter Ragna, die es als Schwägerin eines Bischofs in die gewalttätige angelsächsische Welt verschlägt.

Ragna ist tatsächlich meine Favoritin. Weil sie psychisch so ungeheuer stark ist. Sehr üble Dinge passieren ihr im Laufe der Geschichte, aber sie lässt sich nicht entmutigen und kämpft weiter. Sie beweist auch große Leidenschaft, verliebt sich neu.

Wir reden über eine Zeit, als Mehrfach-Ehen nicht ungewöhnlich waren, als Priester heiraten, Äbte und Bischöfe Kinder zeugen durften…

England war zwar christianisiert, aber die Kirche hatte ihren Einfluss noch nicht gefestigt. Ein Bereich, den sie nicht völlig kontrollierte, war die Ehe. Die Heirat war ein rein ziviler Akt, bei dem zwei Menschen vor Zeugen Versprechen abgaben. Ähnliches galt für die Scheidung. Wenn ein Mann eine neue Frau nehmen und die alte behalten wollte, dann machte er das eben. Und das Zölibat war bis ins 12. Jahrhundert ohnehin nur eine Empfehlung, kein Kirchengesetz.

Kingsbridge ist im Mittelalter entstanden. Doch es sind immer noch rund 200 Jahre, bis Tom Builder in „Die Säulen der Erde“ die Szene betritt. Werden Sie diese Lücke noch füllen?

Geplant habe ich das nicht. Aber ich weiß, dass man niemals nie sagen soll.

Mehr Infos zum Infos zum Buch: Ken Follett: Kingsbridge - Der Morgen einer neuen Zeit, Historischer Roman (Kingsbridge-Roman, Band 4). 1024 Seiten. Lübbe. 36 Euro.