Frankfurt/M. Die Endauswahl für den Deutschen Buchpreis steht fest. Im Rennen sind noch vier Frauen und zwei Männer. Am 12. Oktober wird der Gewinner gekürt.
Vier Frauen und zwei Männer stehen auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2020. Ihre Romane überzeugten die Jury „durch ihre sprachliche Ausdruckskraft und formale Innovation“, wie Jurysprecherin Hanna Engelmeier am Dienstag in Frankfurt sagte: Einige Autoren widmeten sich biografischen und zeitgenössischen Themen, andere schöpften aus unerwarteten Quellen oder historischen Stoffen - am Ende gelangten sie alle über ihren Stoff „zu großen, allgemeingültigen Fragen“.
Nominiert sind Bov Bjerg („Serpentinen“) und Thomas Hettche („Herzfaden“), die schon eine treue Leserschaft haben. Deniz Ohde („Streulicht“) schaffte es gleich mit ihrem ersten Roman in die Endauswahl. Mit Dorothee Elmiger („Aus der Zuckerfabrik“), Anne Weber („Annette, ein Heldinnenepos“) und Christine Wunnicke („Die Dame mit der bemalten Hand“) stehen insgesamt vier Frauen auf der Shortlist. Die Siegerin oder der Sieger wird am 12. Oktober verkündet.
Jury lobt den „überraschenden Witz“ von Bov Bjerg
In „Serpentinen“ (Claassen) geht es um Leben und Tod. Bov Bjerg, Jahrgang 1965, schreibe „tief soziologisch und gleichzeitig sehr literarisch“, aber auch „mit überraschendem Witz“, findet die Jury. Das Buch erzählt von einem suizidgefährdeten Vater und seinen Sohn. „In diesem Roman sitzt absolut jedes Wort an der richtigen Stelle und schafft es so, vom eigentlich Unaussprechlichen zu erzählen.“
Deniz Ohde gelang gleich mit ihrem ersten Roman der Sprung auf die Shortlist. Geboren wurde die Autorin 1988 in Frankfurt am Main, heute lebt sie in Leipzig. „Streulicht“ (Suhrkamp) handelt von einer Arbeiterfamilie und ihrem Wunsch, dazu zu gehören: zu einem Bildungs- und Leistungssystem, das Chancengleichheit nur verspricht, aber nicht halten kann. „Deniz Ohde schreibt mit bestechender Klarheit über einen Teil der Gesellschaft, der sonst viel zu selten zu Wort kommt“, lobt die Jury das herausragende Debüt.
Bei Anne Weber wird das echte Leben „ein grandioses Stück Literatur“
Auch Anne Weber wurde (1964) am Main geboren, in Offenbach. Heute lebt sie als Autorin und Übersetzerin in Paris, ihre eigenen Bücher schreibt sie in beiden Sprachen. „Annette, ein Heldinnenepos“ (Matthes & Seitz) verwandle das reale Leben der 96-jährigen Résistance-Kämpferin Anne Beaumanoir in „ein grandioses Stück Literatur“, findet die Jury. „Philosophisch, politisch und reflektiert stellt der Roman unaufdringlich den Bezug zur Gegenwart her.“
Der Roman „Die Dame mit der bemalten Hand“ (Berenberg) erzählt „Migration einmal andersherum“, wie die Jury es formuliert. Es geht um einen deutschen Forschungsreisenden, der 1764 auf einer indischen Insel strandet und von Einheimischen gesund gepflegt wird. Christine Wunnicke, Jahrgang 1966, lebt in München. Ihr Buch fand die Jury „souverän und absolut verführerisch“.„Aus der Zuckerfabrik“ (Kiepenheuer & Witsch) ist der experimentellste Roman auf der Shortlist. Die Schweizerin Dorothee Elmiger, Jahrgang 1985, schreibt laut Jury „in stark essayistischer Form, eher als Collage“. Ausgehend von der Frage, wo eigentlich der Zucker her kommt, geht es dann zum Beispiel um Kolonialismus.
„Herzfaden“ als literarisches Denkmal für die Augsburger Puppenkiste
Thomas Hettches „Herzfaden“ (Carl Hanser) setzt der Augsburger Puppenkiste ein literarisches Denkmal. „Leichthändig und elegant verwebt dieser Roman große Themen der Gegenwart und der deutschen Vergangenheit“, urteilte die Jury. „Von einem verzauberten Dachboden aus führt er uns in die Welt der Holzmarionetten, in den Zweiten Weltkrieg, in die westdeutsche Nachkriegszeit, um Verlust von Unschuld und dem Ende der Kindheit.“
Insgesamt haben die sieben Jurymitglieder 206 Titel gesichtet, die zwischen Oktober 2019 und September 2020 erschienen sind. Im August setzten sie 20 davon auf die Longlist. Nicht in die Endrunde kamen zum Beispiel bekannte Namen wie Robert Seethaler und Frank Witzel.
Bekanntgabe der Gewinner am 12. Oktober im Livestream
Wegen der Corona-Pandemie wird die Verkündung in Frankfurt diesmal nur per Livestream zu sehen sein. 2019 wurde Saša Stanišićs Roman „Herkunft“ im Kaisersaal ausgezeichnet. Der Preis ist mit insgesamt 37.500 Euro dotiert: Der Sieger erhält 25.000 Euro, die übrigen Autoren der Shortlist jeweils 2500 Euro.