Essen. Sieben Metropolen von Breckerfeld bis Neukirchen-Vluyn: Eine neue Ausstellung auf Zeche Zollverein lässt „100 Jahre Ruhrgebiet“ Revue passieren.

Dass es der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk war, der die gelb-schwarzen Ortseingangsschilder erfunden hat, war auch den Historikern im Ruhrmuseum nicht bewusst, das haben sie erst bei der Vorbereitung der neuen Ausstellung „100 Jahre Ruhrgebiet“ festgestellt. Dabei ist es nur zu logisch: In einer Gegend, in der man nicht wusste, wo Bochum endet und Herne beginnt, ob man nun noch in Oberhausen oder schon in Essen ist, mussten solche Schilder ja zwangsläufig erfunden werden. Schwarz auf gelb, so hat sie der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk kurz nach seiner Gründung vor 100 Jahren konzipiert, und binnen weniger Jahre standen in der ganzen Weimarer Republik welche.

Der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (SVR), der heute Regionalverband Ruhr heißt, war eine preußische Reaktion auf den „Ruhrkampf“, den gewaltsam befriedeten, blutigen Bürgerkrieg zwischen der „Roten Ruhrarmee“ und reaktionären Freikorps und Reichswehr-Truppen. Die SVR-Gründung markiert für Theo Grütter, den Direktor des Ruhrmuseums, den Punkt, „an dem man endlich das Ruhrgebiet als Ganzes in den Blick nahm“.

„Preußens wilden Westen“ in den Griff kriegen

Man wollte „Preußens wilden Westen“ in den Griff kriegen – und brauchte Wohnungen für 150.000 neue Bergleute, damit man die Reparationsforderungen aus dem Versailler Vertrag erfüllen konnte. Daher „Siedlungsverband“. Erst in den 20er-Jahren beginnt man auch, vom „Ruhrgebiet“ zu sprechen, das zuvor rheinisch-westfälischer Kohlenbezirk hieß.

Die Ruhrmuseums-Ausstellung über den Fünf-Millionen-Ballungsraum mit dem Titel „Die andere Metropole“ zeigt sieben Kapitel. Da ist etwa die politische Ruhrgroßstadt, der es gelang, nach Klassenkämpfen und Diktatur, in der Nachkriegszeit, die Gesellschaft mit der Sozialpartnerschaft zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern zu befrieden. Gleichwohl gibt es eine hochentwickelte, nicht selten erfolgreiche Protestkultur. Das Ruhrgebiet ist voller Widersprüche – die meisten DAX-Konzerne und die höchsten Arbeitslosenzahlen, wie Theo Grütter betont, doppelt so viele Studierende (290.000 !) wie in Berlin, fünf Universitäten und 20 Fachhochschulen – aber auch die meisten Hartz-IV-Empfänger. Vier Opernhäuser, aber ein katastrophal unterentwickelter öffentlicher Personennahverkehr.

Da ist aber auch die Metropole der Großveranstaltungen von Sechstagerennen bis Kirchentag (nirgends sonst fanden so viele von beiden statt), Fußballstadien (die ja anfangs noch „Kampfbahn“ hießen) inklusive. Es steht aber auch ein Weckglas mit dem gefürchteten Sportplatz-Belag „Gelsenrot“ in der Ausstellung: zerkleinerte Reste von abgebrannten Schlacke-Halden.

Mehr als 1000 Ausstellungsstücke

Kabarett-Größen von Gerburg Jahnke bis Atze Schröder liehen der Ausstellung ihre zahllosen Preistrophäen, Hape Kerkeling spendete gar sein „Bambi“. Die mehr als 1000 Ausstellungsstücke erzählen tatsächlich 1001 anschauliche, lebendige Geschichten aus 100 Jahren Ruhrgebiet. Wer sie gehört, sie gesehen hat, wird unweigerlich den Verdacht entwickeln, dass das Ruhrgebiet, je genauer man hinsieht, umso unfassbarer wird und bis heute nicht in den Griff zu bekommen ist.