Köln. Vor 1100 Zuschauern, die brav auf ihren Stühlen unter freiem Himmel sitzen, wagt Pianist Chilly Gonzales wieder einen Auftritt – einen großen.

„The Music is back!“ ruft Chilly Gonzales, sichtlich glücklich, nach knapp zwei Stunden Konzerterlebnis in die Menge - rund 1100 Zuhörer, die zuvor brav auf ihren blauen Plastikstühlen gesessen hatten, erheben sich und feiern mit dem Wahlkölner das lang vermisste Live-Erlebnis. Zu Beginn hatte der Pianist gefragt, für wie viele dies das erste Konzert seit einem halben Jahr sei – fast alle Hände hoben sich, seine inklusive.

Die Sache hatte also durchaus ernsthaft begonnen. Gewiss, der Mann im Bademantel hatte sich zum Auftakt ein Späßchen erlaubt und seine Wischereien über die Tasten mit dem Desinfektionstuch zu einem kleinen, improvisierten Vorspiel eskalieren lassen, das aber war die Entertainerseite des Ausnahmepianisten, der danach erst einmal relativ ruhig und fokussiert durch seine Solowerke führte, die irgendwo zwischen Neoklassik und Jazz changieren.

Kleine einprägsame Themen, die wie Widerhaken sind

Dabei führt der oft, kleine einprägsame Themen, die sich wie Widerhaken festsetzen, mit vielen Wiederholungen durch diverse Lagen. Ein wenig Köln-Konzert-Feeling mit perfekt gestimmtem Klavier also, Filmmusik für innere Bilder - dazu trug auch die Atmosphäre am Tanzbrunnen (dessen Geplätscher sich anders als das Möwengeschrei noch runterregeln ließ).

Eindrucksvoll wird das bei Stücken wie „Advantage Point“ oder „White Keys“, bei dem ihn Cellistin Stella Le Page begleitet, die im folgenden Dauergast auf der Bühne bleibt, auf der im zweiten Teil des Abends Schlagzeuger Joe Flory ein ungewöhnliches Jazztrio komplettiert. „Wir jazzen“, grinst Gonzales, der gebürtige Kanadier, auf Deutsch.

Gonzales hat da schon seine neue Liebe zur modernen Technik thematisiert und präsentiert sich mal wieder als anerkannt schlechter MusikMC mit diversen Drumbeats und Features auf dem Casio zu schnell gerappten Versen - und spielt auch mal kurz „Supersticious“ und „Another one bites the Dust“ an. Und erklärt anhand von „Take Five“ in einem kleinen Volkshochschulkurs die Geheimnisse des Takts.

Gonzales liebt klangvolle Begriffe wie „Kopfkino“ und „Fremdscham“

Seine Liebe zu deutschen Begriffen mit ungewöhnlichen Klängen schimmert immer wieder mal durch: „Ohrwurm“ und „Kopfkino“ sind so Begriffe. Es wird also lustiger, leichter und auch lauter im Verlaufe des Abends, ohne, dass Gonzales an Technik und Brillanz verliert. Man kann als Entertainer gewinnen, ohne als Pianist zu verlieren.

Zwischen zwei Liedern gesteht er: „Ich habe das vermisst: ungemütliche Stille“. Und „Fremdscham“. Denn mit der und den Corona-Regeln spielt der Mann im Seidenbademantel: Er hat sogar eine Lösung fürs Crowdsurfing erfunden. Er bittet das Publikum folglich, sein Alter Ego, eine Stoffpuppe mit Vogelscheuchenaussehen, durch die Reihen vor der blau erleuchteten Bühne zu tragen. Mit desinfizierten Händen versteht sich. Das klappt auch, abgesehen davon, dass sie zwischen durch ihr Brusthaar verliert. Und weil Singen verboten ist, Summen aber nicht, endet der Abend mit einem sehr gut gelaunten: „Thank you for coming - and thank you for humming.“

Chilly Gonzales ist am 23. September im Rahmen des Klavierfestivals Ruhr zu Gast in der Essener Philharmonie, Karten kosten zwischen 26 und 56 Euro. Am 15. Dezember spielt er in der Düsseldorfer Tonhalle, dort sind die Kontigente derzeit vergriffen.