Mülheim. Der Mülheimer Musiker, Entertainer und Kabarettist Helge Schneider wird am 30. August 65 Jahre alt – und gibt seinem neuen Album den Titel „Mama“.
Am 30. August wird Helge Schneider , Sänger und Musikclown, 65 Jahre alt. Olaf Neumann traf den künstlerischen Draufgänger am malerischen Ufer der Ruhr zum Geburtstagsinterview: Schneider trug Strohhut und Strickjacke; auf dem Smartphone spielte er Ausschnitte aus seiner neuen Platte „Mama“ vor, die an diesem Freitag erscheint.
Herr Schneider, wie sieht Ihr Alltag aus in der Zeit der Pandemie?
Helge Schneider: Ich habe monatelang aufgeräumt und mein Archiv durchgeguckt: VHS- und U-Matic-Bänder mit Film neben Kassetten und Tonbändern. Manchmal höre ich da rein, zum Beispiel in eine Live-Aufnahme von 1976. Ich hatte damals eine Band mit meinem Freund Charly Weiss: El Synder und Charly McWhite. Er hat toll Schlagzeug gespielt. Leider ist Charly vor zehn Jahren gestorben.
Können Sie sich gut allein aushalten in den eigenen vier Wänden?
Ja, ich habe immer etwas zu tun. Und zum Schluss gibt es ja immer noch das Fernsehen. Sonntags Tatort zum Beispiel. Meistens aber irreale Geschichten. Ich habe auch schon Drehbuchautoren kennengelernt, die mit mir arbeiten wollten, aber ich habe keine Lust, nach herkömmlichen 08/15-Mustern zu funktionieren – meist mus ja eine Liebesgeschichte mit rein. Wenn ich mir Krimis ansehe, dann meistens stimmungsvolle Filme wie „Fahrstuhl zum Schafott“, für den Miles Davis die Musik gemacht hat.
„Der Rhythmus sollte direkt in den Körper gehen. Ich bin ja Swing-Musiker.“
Welcher Sound schwebte Ihnen vor, als Sie das neue Album „Mama“ planten?
Ein natürlicher, warmer Sound ohne Synthesizer. Ich wollte überhaupt nichts Metallisches. Ich habe ein Klavier, das eine bestimmte Atmosphäre in die Aufnahmen bringt. Das klingt alles so direkt, als würde man daneben stehen. Beim Schlagzeugspielen mit Besen achte ich darauf, dass mir nicht langweilig wird. Der Rhythmus sollte direkt in den Körper gehen. Ich bin ja Swing-Musiker.
Sie beherrschen sämtliche Musikstile von Jazz über Rock bis hin zu Schlager. Gibt es für Sie auch „doofe“ Musikstile?
Eigentlich ist Swing mein Ding. Techno kann man sich normalerweise nicht anhören, vor allem, wenn einer an der Ampel neben einem steht. Trotzdem kann ich aus Gründen des Zeitgeistes manchmal irgendetwas mit ihm anfangen. Sprich: persiflieren.
„Ohne Tournee ist in 12 Monaten mein Geld alle. Dann muss ich wieder arbeiten.“
Was schätzen Sie insbesondere an Schlagermusik?
Gar nichts eigentlich, aber sie gehört speziell bei mir mit zum Erwachsenwerden. Aber ich hätte es auch als angenehm empfunden, wenn es nur Bill Haley oder Fats Domino gäbe – oder natürlich Elvis. Ich habe sein Konzert aus Hawaii live im Fernsehen in Farbe gesehen. Nachts um vier. Man kann sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen, dass es sowas mal gab.
Denken Sie zuweilen: Die Stille ist eigentlich sehr schön, ich will gar nicht mehr auf Tour gehen?
Das wäre schön für eine gewisse Zeit. Aber in 12 Monaten ist mein Geld alle. Und wenn ich dann nicht auf Tournee gehen kann, muss ich wieder arbeiten: als Zahnarzt, Paketzusteller oder Pferdeschmied.
„Ich will nicht funktionieren, ich will kreativ sein“, heißt es in Ihrer Autobiografie. Ein Leitsatz?
Ja – und er gilt immer noch.
„Nach der Party an meinem 50. Geburtstag habe ich vier Tage lang aufgeräumt.“
Wie hat Ihr kleinbürgerliches Elternhaus Sie geprägt?
Auf der einen Seite bin ich sehr ordnungsliebend und kann in einem kleinen Rahmen leben. Andererseits mache ich genau das Gegenteil: Ich habe 60 Gitarren, fünf Flügel, Kontrabässe, alte Autos und Motorräder. Meine Herkunft hat mich aber durchaus geprägt: Ich versuche zum Beispiel, keine Schulden zu haben. Meine sechs Kinder kosten ja auch Geld.
Sie werden mitten in der Corona-Krise 65 – und können wahrscheinlich keine große Party feiern. Finden Sie das traurig?
Nach der Party an meinem 50. Geburtstag habe ich vier Tage lang aufgeräumt. Das mache ich erst wieder, wenn ich 100 werde.