Batman-Regisseur Christopher Nolan präsentiert mit „Tenet“ einen bildgewaltigen Science-Fiction-Thriller: ein Kinohit mitten in der Coronazeit.
In Kiew findet ein brutaler Angriff auf die voll besetzte Oper statt. Ukrainische Sicherheitskräfte greifen ein, auch ein amerikanisches Team mischt mit. Im allgemeinen Scharmützel geraten die Amerikaner in Gefangenschaft, einer entzieht sich der nicht enden wollenden Folter durch Selbstmord mit einer Zyankalikapsel. Er wacht in einem Labor auf, wo er neue Instruktionen erhält und – als einzige Waffe - ein geheimnisvolles Wort: Tenet. Ziel seiner Mission ist es, den dritten Weltkrieg, mehr noch das Ende unserer Welt zu verhindern.
Gleich der Anfang des neuen Films von Batman-Regisseur Christopher Nolan deckt alle Stärken und Schwächen dieses Filmemachers auf. Wer im Kino Bilder erwartet, die eine Großbildleinwand spektakulär füllen, und dazu ohrenbetäubenden, hochdifferenziert abgemischten Raumton, der ist bei Nolan richtig. Wer sich bei diesem Regisseur über seinen ausgeprägten Zeitfimmel ärgert, und dass er sich hinter seiner aberwitzig verkomplizierten Erzählweise immer nur ganz einfache Geschichten verbergen, der liegt hier auch richtig. Bei Christopher Nolan steht die Form über dem Inhalt, auch wenn er das selber vermutlich anders bewertet.
Schon Christopher Nolans internationaler Durchbruch „Memento“ war schlicht gestrickt
Aber schon sein internationaler Durchbruchfilm „Memento“, der seine Geschichte rückwärts erzählte, war im Kern nur eine ganz einfache Mordstory. Das Effektgewitter „Inception“ war nur eine in Berge von Psychowatte gepackte „Mission: Impossible“-Episode, und der Kriegsfilm „Dunkirk“ wäre wohl für die meisten Zuschauer fesselnder gewesen, wenn man nicht dauernd hätte rätseln müssen, in welcher Zeitebene sich das Geschehen auf der Leinwand wohl gerade abspielen könnte.
Und nun also „Tenet“, ein zweieinhalbstündiger Agententhriller, in dem rein gar nichts mehr eindeutig ist. Irgendjemand in der Zukunft will unsere Gegenwart auslöschen, um seine Zivilisation zu retten. Ein russischer Waffenhändler (schön ungehobelt: Kenneth Branagh) und seine schöne Frau (Elizabeth Debicki, die hier wirkt, als ob sie drei Meter groß wäre) werden zu Schlüsselfiguren in einem Action-Poker, in dem Handlungsabläufe ständig vor- und zurücklaufen und Leute sogar mit sich selber kämpfen; oft genug alles in einem Bild.
John David Washington wird von Robert Pattinson an die Wand gespielt
Der Held im Geschehen nennt sich selber den Protagonisten, was nicht heißt, dass er allein den Durchblick hätte. Gespielt wird er von John David Washington, der der Sohn von Denzel Washington ist. Er trägt einen Bart wie Marvin Gaye 1974 und bewegt sich mit rollenden Schultern wie sein Vater vor 30 Jahren. Ein charismatischer Hauptdarsteller ist J.D. Washington nicht. Sein Partner im Gefecht ist Robert Pattinson, der sich dank unberechenbarer Rollenwahl vom Vampir-Dandy in „Twilight“ zum interessantesten Hollywood-Schauspieler unserer Zeit entwickelt hat. Er spielt Washington in jeder Szene mühelos an die Wand.
Es gibt zahlreiche spektakuläre Szenen in diesem seltsam schwerfälligen Film, aber keine einzige vermag packend zu unterhalten, weil Nolan im Detail schludert (Eindringen in ein Haus mittels Bungee-Katapult) oder im Finale ganz einfach selbst die Übersicht verliert, wer gerade wo auf wen schießt und vor allem wann. Ein weiterer Fehler dieses sündhaft teuren Films ist es, dass er sich einerseits unbegreiflich wichtig nimmt, andererseits keine Anteilnahme zu seinen Figuren zulässt, und drittens immer dann, wenn das Geschehen aus der Logikkurve zu fliegen droht, auf das Großvater-Paradoxon verweist; das geht so: Ich reise zurück in der Zeit und töte meinen Großvater in jungen Jahren, verhindere damit meine Geburt. Wie konnte ich dann aber zurück in der Zeit reisen?
Das ist die eine Gewissheit in diesem Film: Bei Zeitreisen ist alles möglich, weil bislang noch nichts überprüfbar ist. Die andere Gewissheit lautet: Was geschehen ist, ist geschehen. Ob das reicht, dass dieser Film im schwarzen Corona-Loch das Kino rettet – das ist eine ausgesprochen optimistische Prognose.