Keine Liebeslieder, dafür viel Politisches: Das achte Album von Biffy Clyro, „A Celebration Of Endings“, steckt voller gelungener Experimente.
Die Weichen für sein weiteres Leben stellte der Sänger und Gitarrist von Biffy Clyro bereits in einem sehr zarten Alter. „1995 war das Jahr, in dem ich meine beiden bisher größten und besten Lebensentscheidungen traf“, so erzählt der wie üblich aufgekratzt herzliche, aus der schottischen Provinz North Ayrshire stammende Simon Neil beim Interview in Berlin.
In jenem schicksalhaften Sommer lernte Simon, damals 15, Francesca kennen. Die beiden wurden ein Paar und sind, mit einer zweijährigen Unterbrechung während der jeweiligen College-Zeit, bis heute liiert, seit zwölf Jahren als Ehepaar. Und er tat sich mit ein paar gleichaltrigen Jungs zusammen, darunter waren auch damals schon die Zwillinge James (Bass) und Ben (Schlagzeug) Johnston. Gemeinsam gründeten die Teenager Biffy Clyro und führten ihre Band nach und nach in vorderste Gefilde der europäischen Rockmusik.
Die drei Schotten zählen zu den wenigen ihrer Altersgruppe, die ein Stadion füllen
Die drei Schotten, allesamt 40, zählen international zu den ganz wenigen Bands ihrer Altersgruppe, die auch mal ein Stadion vollbekommen. Außer Muse, Coldplay und The Killers fällt einem da ja kaum noch jemand ein. „Klar“, sagt Simon, „normalerweise würde ich niemandem empfehlen, sich schon so früh festzulegen. Auf der anderen Seite: Wie hätten wir damals wissen können, dass sich alles so phantastisch entwickelt.“
Bis heute hat Simon Neil weder das eine noch das andere bereut. Freilich: Mit Francesca, so der Sänger verschmitzt und in breitem schottischem Dialekt, streite er signifikant häufiger als mit den Zwillingen. „Wir sind ein explosives und ein dynamisches Paar. Wir reisen und sind ständig zusammen, und wir wissen, welche Knöpfe wir drücken müssen, damit der andere in die Luft geht.“ Dass es nun auf dem neuen, achten Biffy-Clyro-Album „A Celebration Of Endings“ keine Liebeslieder gebe, liege aber nicht an einem Mangel an Zuneigung, sondern vor allem daran, „dass in den vergangenen Jahren zwischen uns nichts Extremes passiert ist. Ich fühle mich in unserer Beziehung einfach sicher und supergeborgen.“ Francesca, gelernte Englischlehrerin und heute Co-Managerin der Band, sitzt derweil im Nebenzimmer und lacht.
„Die Songtexte kommen diesmal eher vom Kopf als vom Herzen“
Die Dramen spielten sich woanders ab. Zum einen im Umfeld der Band, wo es einen herben Fall von Vertrauensmissbrauch inklusive eines signifikanten finanziellen Schadens gegeben habe. Der relativ zarte und gitarrenmelodische Song „Opaque“ greift dieses, so Neil, „20 Jahre währende menschliche Missverständnis“ auf. Vor allem aber treibt das Weltgeschehen die Männer und ihre Musik nachhaltig um. „Die Songtexte kommen diesmal eher vom Kopf als vom Herzen“, sagt der Frontmann. „Wir kämpfen uns nicht nur durch eine fürchterliche Pandemie, sondern wir haben auch danach eine sehr harte Zukunft vor uns, man denke nur an den Klimawandel, und dazu schüttet man uns noch diesen Eimer voller Scheiße mit Namen Brexit auf den Kopf.“
Das nicht nur vom Titel, sondern auch vom gesamten Gestus an Queen angelehnte „The Champ“ („Freddie Mercury wird für alle Zeiten mein größter Held sein“) geht entsprechend hart mit all den Ignoranten ins Gericht, „die 70 Jahre alt sind, und meinen, sie müssten jetzt die 17-jährige Greta Thunberg fertigmachen“. Simon ist jetzt richtig bissig. „‘The Champ‘ ist fast ein Widerstandssong. Eine Hymne für die jungen Menschen, die es nicht hinnehmen, dass Werte wie gegenseitige Wertschätzung oder Kompromissbereitschaft immer weiter geschliffen werden.“ Der Sänger sehe seine Band so ein bisschen im Fahrwasser von U2, nicht nur, was die Langlebigkeit, sondern auch was die menschenfreundliche Haltung angehe.
Simon Neil: „Nur wir können ein Album wie dieses machen“
Und ähnlich wie die Iren spielen auch Biffy Clyro zwei Jahre nach einem „MTV Unplugged“-Album, „das für uns im Nachhinein vielleicht ein bisschen zu früh kam“, nicht bloß ihren üblichen Stiefel runter, sondern widmen sich gerade auf „A Celebration Of Endings“ recht gründlich dem Experimentieren. Wenn auch mit etwas gemischten Resultaten. Die im Frühjahr vorab veröffentliche Single „Instant History“, die dann doch sehr, sehr poppige, am Keyboard konzipierte und eher nach den Imagine Dragons als nach Biffy-Stadionbrüllern wie „Mountains“ klang, hat nicht wenige Fans regelrecht erschreckt.
Doch der Schock schwindet beim Hören der kompletten Platte rasch. Das wie schon der Vorgänger „Ellipsis“ von Rich Costey produzierte Albumdrängt vorwiegend fulminant nach vorne und ist stilistisch wohl so breit aufgefächert wie keins zuvor. Während auch „Tiny Indoor Fireworks“ dem Pop zugetan ist, ist „Space“ ein Stück, bei dem früher Feuerzeuge (als es noch Feuerzeuge und Konzerte gab) geschwenkt wurde, mit „Worst Type Of Best Possible“ und „North Of No South“ muss auch niemand auf die traditionellen Hymnenrockkracher verzichten, und im sechsminütigen „Cop Syrup“ fängt Simon Neil so richtig an zu brüllen. „Nur wir können ein Album wie dieses machen“, so die Überzeugung des Sängers, der man sich vorbehaltlos anschließen kann.