Essen. Schriftsteller und Jurist Bernhard Schlink (76, „Der Vorleser“) legt mit „Abschiedsfarben“ einen neuen Erzählband vor – der aber blass bleibt.
Bernhard Schlink, der Anfang Juli seinen 76. Geburtstag feierte, kann zurückblicken auf gleich zwei Karrieren: als Jurist und als Schriftsteller, dem mit dem Roman „Der Vorleser“ 1995 ein internationaler Erfolg gelang. Seither sind seine Werke verlässliche Größen der Bestsellerlisten, so auch der neue Erzählband „Abschiedsfarben“ – mit Geschichten, die Leben und Sterben auf verschiedene Weise ausmalen, immer aber aufs große Ganze gehen.
Ein Mathematiker denkt an die Toten seines Lebens, an Sterbebetten und Beerdigungen, vor allem aber erinnert er sich an den ehemaligen Kollegen und besten Freund Andreas. In den 60er-Jahren waren sie beide „die jungen Stars der DDR-Kybernetik“, Andreas „war ein genialer Mathematiker, man konnte auf ihn nicht verzichten“. Aus diesem Halbsatz heraus entwickelt Schlink seine Geschichte, die um Schuld kreist und die Frage, was ein gutes Leben ist – und wer das festlegt. Denn der Erzähler hat den Freund verraten, hat ihn anonym angeschwärzt, ihn so einst im Land und an seiner Seite gehalten, rechtfertigt sich nun vor uns Lesern und vor sich selbst.
Es geht um Schuldfragen und tödliche Enttäuschungen
Um Schuld geht es in vielen der Erzählungen. Ein Mann hätte den Mord an einer jungen Frau verhindern können und tat es nicht: „Picknick mit Anna“ ist eine Pygmalion-Variante, ein älterer Herr bringt einem Zuwanderer-Mädchen Kultur und Bildung nahe und wird tödlich enttäuscht. „Geschwistermusik“ blickt zurück auf eine Dreiecksbeziehung, ein Schüler verliebt sich in die wohlhabende Klassenkameradin und wird der beste Freund ihres Bruders, der im Rollstuhl sitzt – als das Mädchen ihn aber zurückweist, verlässt er das Geschwisterpaar. Erst nach Jahrzehnten klärt sich, was damals wirklich geschah.
In letzterer Geschichte ist der Erzähler Musikwissenschaftler und bringt einen Schatz musikhistorischer Querverweise mit, oft lässt Schlink sein literarisches Wissen einfließen, verweist auf Max Frischs „Homo Faber“ ebenso wie auf antike Sagen – und tröstet damit einen Protagonisten, der unfreiwillig zum Vater seines eigenen Enkels wird.
Erzählungen sind im lakonischen Stakkato-Tonfall gehalten
Grotesk, skandalös sind manche der Ereignisse, die Schlink im knappen, lakonischen Stakkato-Ton vorträgt: eher die Zusammenfassung denn die Erzählung eines Lebens. Und so wirken die Stories mit der Zeit ein wenig ermüdend: als säße man zum Plausch mit der allwissenden Nachbarin zusammen, die ein ums andere Schicksal hinter fremden Wohnungstüren hervorzerrt und immer auch gleich eine passende moralische Weisheit parat hat.
„Man will nicht nur ein Leben leben“, hat Bernhard Schlink einmal auf die Frage gesagt, warum er Schriftsteller sei. Seine Zweitleben aber sind hier leider allzu oft oberflächlich, lassen kaum mitfühlen, mitfiebern – und so bleiben die „Abschiedsfarben“ pastellig und blass.
Bernhard Schlink: Abschiedsfarben. Diogenes, 240 S., 24 €