Paderborn. Aus Rubens’ Werkstatt nach Paderborn: Eine Ausstellung im Diözesanmuseum zeigt nun, wie barocke Meistermalerei nach Westfalen kam.
Dralle Engel mit dicken Backen wurden nicht von ungefähr zum Markenzeichen der barocken Kunst. Sie waren eine Gegenreaktion auf die Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges mit seinen Seuchen, Gräueln und Hungersnöten. Wie der irdische Schauwert die sakrale Kunst erobert, zeigt das Diözesanmuseum Paderborn jetzt mit der Ausstellung „Peter Paul Rubens und der Barock im Norden“. Im Mittelpunkt stehen der Schaffensprozess und der Transfer dieser neuen Ästhetik des Antwerpener Malerfürsten aus Siegen.
Der tote Christus liegt, seine Füße sieht man Füße zuerst – ein ungewöhnlicher Blickwinkel. Fast als wären wir selbst dabei, so nahe wirkt die „Beweinung Christi“; man kann gar nicht anders, als Mitleid zu empfinden, mit dem Gekreuzigten, aber auch mit dessen Mutter, die dem Toten sanft einen Dorn aus der Stirn zupft und ihm mit der anderen Hand zart das linke Auge schließt. Solche Szenen sind neu in der Kunst des 17. Jahrhunderts. Bisher hat noch kein Maler es vermocht, seine Figuren mit einer derart spektakulären Gegenwärtigkeit darzustellen. Tiefe Gefühle und große Gesten sollen das Publikum ergreifen, es rühren.
Der Altar wird im Barock zur Bühne
Rubens verändert das Bild vom Körper, der nun in aller Stofflichkeit dargestellt wird. Und: Er setzt Licht und Schatten gezielt für dramatische Wirkungen ein, Rubens perfektioniert die Lichtregie, die sein Zeitgenosse Caravaggio mit seinem Chiaroscuro, dem Hell-Dunkel in die Malerei einführt. In Rubens’ „Beweinung“ geht alles Licht vom bleichen Leib Jesu aus. In der „Verkündigung an Maria“ hingegen ergießt sich das Licht aus der aufgerissenen Wolkendecke auf das Haupt des Engels – ein Effekt, wie ihn kein Theaterregisseur besser inszenieren könnte. Die katholischen Kirchen, die nach Bilderstürmen und Kriegsverwüstungen wieder aufgebaut werden, setzen bewusst auf theatrale Mittel. Der Altar wird zur Bühne. Er ist jetzt erstmals für das gemeine Volk zu sehen, die Jesuiten setzen auf multimediale Propaganda. Das Auge glaubt mit.
Pro Woche verließ ein Altarbild die Werkstatt
Die „Verkündigung an Maria“ ist eine bildschöne Ölskizze. Davon gibt es eine Vielzahl in der Paderborner Ausstellung. Der erste Arbeitsauftrag für Rubens ist die Ausstattung der Jesuitenkirche in Antwerpen mit unter anderem 39 großen Deckengemälden. Die sind 1738 verbrannt, aber die Skizzen sind erhalten. Museumsdirektor Christoph Stiegemann sieht in ihnen „eine grandiose künstlerische Freiheit“.
Rund 40 Rubens-Werke und Arbeiten aus der Rubens-Werkstatt gehören zu den 120 Ausstellungsstücken der Schau. Sie lässt das Publikum teilhaben am Neuen, das Rubens selbstbewusst schafft und durch geschickte Vermarktung in ganz Europa bekannt macht. 1500 großformatige Altarbilder werden Rubens zugeschrieben. Pro Woche muss ein Altarbild die Antwerpener Werkstatt verlassen haben.
Migration und Kunsttransfer
Preiswerte, massenhaft gedruckte Kupferstiche von Rubens’ Gemälden werden zu einer eigenen Marke und bringen neue Auftraggeber. So holt der damalige Fürstbischof von Paderborn die Brüder Willemssens aus dem Rubens-Umkreis nach Paderborn. Migration und Kunsttransfer sorgen dafür, dass Westfalen an der kreativen Neuerfindung der Epoche teilhat.
Anlass für die Schau ist gewissermaßen ein Fund im Kartoffelkeller des Domprobste. Dort lagerten fast vergessene Überreste eines im Zweiten Weltkrieg zerstörten Altargemäldes des Antwerpener Malers Antonius Willemssens aus dem Umfeld von Rubens. Die Rekonstruktion dieses Schmuckstücks bildet den Ausgangspunkt der Schau zu Rubens’ Wirkungsgeschichte.
Paderborner Gemälde im Zweiten Weltkrieg zerfetzt
Wer das Museum betritt, steht zunächst vor dem sichtbar aus Originalfragmenten rekonstruierten, imposanten Altarbild aus dem 17. Jahrhundert. Die Brüder Antonius und Ludovicus Willemssens waren nach dem Dreißigjährigen Krieg für die neue prachtvolle Barockausstattung des Doms verantwortlich. Eine Weltkriegsbombe zerstörte jedoch das Gemälde „Anbetung der Hirten“. Die Fetzen wurden eingelagert, bevor spätere Bombenfeuer die meisten barocken Spuren im Dom auslöschten. Die geretteten Fragmente gerieten in Vergessenheit – bis sie 1983 wieder entdeckt und nun in aufwendiger Puzzle- und Restaurationsarbeit zusammengefügt wurden. Sichtbar wurden dabei bekannte Rubensmotive, eine Frau mit großem Gefäß auf dem Kopf etwa oder eine kniende Frau mit Eierkorb und festgebundenen Hühnern. So führen die Willemssens-Fragmente mit ihren wieder leuchtenden Farben überzeugend ein in Welt des Hochbarock.
Und was macht Rubens anders als andere? Er will mit dem Bild überwältigen. Ein Prozess, der sich in Paderborn aus dem Zusammenspiel der Exponate erschließt. Etwa in der in Brauntönen angelegten Skizze zur Kreuztragung. Die ungewöhnlich große Vorstudie zeigt, wie Rubens das Gesamtbild komponiert und ist gleichzeitig eine Regieanweisung an die ausführenden Maler. Aber sie ist noch viel mehr. Christus stürzt unter der Last des Kreuzes. Er liegt am Boden. Und von tief unten ist er doch der einzige in der volkreichen Szene, der aus dem Bild herausschaut. Er blickt den Betrachter direkt an. Das wirkt bis heute.
„Peter Paul Rubens und der Barock im Norden“ läuft bis zum 25. Oktober im Diözesanmuseum Paderborn. Zu sehen sind 120 internationale Leihgaben, davon rund 40 Werke, die von Rubens oder seiner Werkstatt stammen. Ein Kapitel setzt den Barock zur zeitgenössischen Kunst in Beziehung. Geöffnet: Di-So 10-18 Uhr; Eintritt: 9 €, erm. 7 €, Familien 15 €. Katalog: 39,50 €.