Essen. Mit dem Alphabet wurde das Schreiben wurde einfacher. Matthias Heine erzählt in seinem Buch „Das ABC der Menschheit“ von einer Schreibrevolution.
Der Wunsch nach Vereinfachung wirkt bequem, aber oft ist er ein Motor für Fortschritt und Zivilisation. Das Rad ist ja nicht seiner schönen Form wegen erfunden worden. Ähnlich verlief die Entwicklung des Alphabets, die auch noch ein schönes Beispiel für Demokratisierung durch Migration ist.
Die erste Alphabet-Schrift entstand vor rund 4000 Jahren in Ägypten. Dort gab es zwar schon viel länger Hieroglyphen, aber das war keine Alphabet-Schrift, sondern vor allem eine Piktogramm-Schrift, also eine mit Bildzeichen, wie man sie heute in Computerprogrammen mit dem Symbol einer – längst nicht mehr gebräuchlichen – Diskette als Zeichen für den Speichervorgang kennt. Solche Piktogramm-Schriften haben den Nachteil, dass sie sehr viele Zeichen brauchen, in Ägypten wurden aus anfangs 700 dann 7000 Zeichen; die Schrift der amerikanischen Maya, vergleichbar aufgebaut, umfasste 800 Zeichen.
„Wie die Erfindung des Feuermachens“
Die Schriftkundigen dieser Zeit waren eine hochgebildete Elite-Klasse, die auf die anderen nicht nur herabsah, sondern sie auch zu manipulieren wusste. Die Entwicklung einer Schrift, die mit gerade einmal zwei Dutzend Zeichen eine gesamte Sprache abbilden und bewahren konnte, war eine Revolution. Matthias Heine schreibt in seinem Buch „Das ABC der Menschheit“ dazu: „Die Erfindung des Alphabets war für die Menschheit ein Schritt wie die Erfindung des Feuermachens, des Rads, des des Schießpulvers, der Hochseeschifffahrt oder des Buchdrucks mit beweglichen Lettern.“
Sennefer, Schatzmeister des Pharaos Thutmosis III.
Als „älteste ABC-Fibel der Welt“ beschreibt Heine eine handtellergroße Kalkstein-Scherbe, 3500 Jahre alt und 1995 in der Grabkammer des Pharaonen-Schatzmeisters Sennefer entdeckt, im Westen des ägyptischen Theben. Scherben aus Ton oder Kalkstein waren so etwas wie die Quittungsblöcke und Notizzettel der Antike, bis heute überliefert im Begriff des Scherbengerichts: Die Athener entschieden mit solchen scheppernden Stimmzetteln über die Verbannung von Mitbürgern.
Der in Kanada lehrende Ägyptologe Thomas Schneider erkannte jedenfalls vor zwei Jahren in Sennefers Zeichen-Scherbe „eine Art Merksatz für Fremdsprachenlerner“ aus vier Wörtern, die für die ersten vier Buchstaben einer ägyptischen Schreibschrift stehen: „Und die Eidechse und die Schnecke und die Taube und der Drache“. Allerdings ist nur die Schrift ägyptisch, die Wörter sind semitischen Ursprungs.
Bis heute für SMS und Einkaufszettel
Sennefer hatte viel auf der Sinai-Halbinsel zu tun; in einem Tempel in Serabit el-Chadim ist er auf einem Wandrelief gleich neben Pharao Thutmosis III. abgebildet. In Serabit el-Chadim wurde das bei den Ägyptern beliebte Mineral Türkis abgebaut – von Fremdarbeitern, Spezialisten und Aufsehern, die Semitisch sprachen. Sie und auch Söldner aus Palästina und der Levante in ägyptischen Diensten, so die These der Altertumsforscher, nahmen sich die komplizierten Hieroglyphen (und deren reduzierte „hieratische“ Schrift) und formten, um ihre semitischen Wörter schriftlich festhalten zu können, daraus etwas komplett Neues, radikal Vereinfachtes: Ein Prinzip, das wir bis heute benutzen, wenn wir SMS oder Einkaufszettel schreiben: Jeder Laut ein Buchstabe, wo früher jedes Wort und manche Silbe ein eigenes Bild hatte.
Nun stand die ägyptische Hieroglyphe für „Rind“ (auf Semitisch: „Aleph“) für den ersten Buchstaben; deshalb sieht, wie Matthias Heine schreibt, „unser großes A, wenn man es auf den Kopf stellt, 4000 Jahre später immer noch aus wie der Kopf einer Kuh mit zwei Hörnern“. Den zweiten Buchstaben bildete das semitische Wort für „Haus“ – „Bêt“; die Hieroglyphe dafür zeigte den vereinfachten Grundriss eines Hauses. Inschriftenkundler gehen davon aus, dass die frühen ABC-Formen wie Lieder gesungen wurden, um sie im Gedächtnis zu behalten. Ihre Umsetzung in eine Schrift stellte eine Form von Vereinfachung dar. Ja: Bequemlichkeit.