An Rhein und Ruhr. Die neuen Leiden des alten Franz Biberkopfs. Es will und kann kein gutes Ende nehmen. Da hilft keine meisterliche Neuinterpretation des Romans.
Es nimmt kein gutes Ende mit dem Franz Biberkopf. Das wissen wir aus Alfred Döblins Jahrhundertroman, von der Fassbinder-Verfilmung vor 40 Jahren und das gilt auch für die Neuinterpretation des Themas durch Regisseur Burhan Qurbani. Wir erinnern uns: Damals, vor Corona, hat er wider Erwarten den Goldenen Berlinale-Bären verpasst. Jetzt kommt der Film mit dreimonatiger Verspätung ins Kino, hin und her geschoben, damit er nicht mit Christopher Nolans „Tenet“ gemeinsam um die Zuschauer buhlt, die er definitiv verdient hat. „Berlin Alexanderplatz“ ist ein starkes Kinostück mit brillanten Schauspieler-Leistungen, einigen Eigenheiten und einem eklatanten Schwachpunkt, den man kaum schildern kann, ohne zu spoilern.
Als hätte das ZDF ein neues Wohlfühl-Ende erzwungen
Sagen wir mal so: zu den MItproduzenten gehört auch das ZDF und die Schlussszene hätte jeder Rosamunde-Pilcher-Verfilmung zur Ehre gereicht. Hat man Qurbani genötigt, ein Happy-End anzuklatschen? Es sieht fast so aus, denn zuvor führt er den gebannten Zuschauer über drei Stunden in jene Ecken Berlins, die Otto Normaltourist niemals zu sehen bekommt, und die mutmaßlich auch der Normalbürger geflisstenlich verdrängt. Gewiss, die Szenerie ist nicht werkgetreu, aber getreu dem Geiste Alfred Döblins, dessen 1929 erschienener Montageroman, einen ungeschönten Blick auf das Elend der Weimarer Republik in Berlin Mitte wirft.
So ist das Schicksal des Zuchthäuslers Franz Biberkopf, der eigentlich gut sein will und wieder auf die Beine kommen möchte, bei Qubani transformiert in die Geschichte von Francis (Welket Bungué), einem Flüchtling aus Guinea-Bissau, der bei der Flucht fast ertrunken wäre und gelobt, ein gutes Leben zu führen, sei die Flüchtlingsunterkunft im Plattenbau noch so elend. Dort trifft er auf Reinhold, einen psychisch labilen Kleinkriminellen, der ihn in Versuchung führt, der Francis dann irgendwann nachgeht, nachdem er aus seiner illegalen Beschäftigung beim U-Bahnbau rausfliegt, weil er einem schwer verletzten Kollegen geholfen hat.
Reinhold, lernt ihn als Drogendealer an, zunächst sorgt er nur fürs Essen, dann dafür, Reinhold die Frauen vom Halse zu schaffen: Denn ihn interessiert nur die Jagd, das Aufreißen, mit den Gefühlen kann er nichts anfangen. Wie Albrecht Schuch diesem Charakterkrüppel eine kaputte Seele einhaucht, sorgt für Alpträume. Dank Reinhold driftet Francis Schritt für Schritt in eine Berliner Halb- und Unterwelt, lernt den Gangsterboss Kups (Joachim Kròl) kennen, und wird wider Willen in Raubüberfälle verwickelt, verliert durch Reinholds Labilität seinen Arm, lernt seine himmlische Mieze (Jella Haase) , ein nebenberufliches Callgirl kennen und hätte um ein Haar die Chance, in ein bürgerliches Leben zu geraten.
Unfassbar starke Schauspieler, darunter auch Joachim Król
Man muss Qurbani das Kompliment machen, dass er seine Figuren psychologisch fast noch glaubwürdiger entwickelt als Döblin und dass er unfassbar starke Schauspieler gefunden hat, allen voran Schuch und den sonst als guten ZDF-Onkel bekannten Allesspieler Krol, der hier so stark wie selten den Gangsterboss Kups gibt. Problematischer und eher Geschmacksfragen sind die immer wieder eingeblendeten Träume des Helden Francis, der sich scheinbar in seiner afrikanischen Heimat immer wieder einem riesigen Wasserbüffel gegenüber sieht, den er schlachten soll – vielleicht ein Pendant zu Döblins Schlachthofszenen.
Ohnehin: Auch wenn Qurbani sagt, sein heutiger Alexanderplatz sei sehr frei nach Döblin entwickelt, so werden doch Passagen des Buchs aus dem Off von Mieze zitiert. Was vor allem zu Anfang, wenn sie als allwissende Erzählerin den Film begleitet, sehr irritiert und die Video-Clip-Bildern aus dem heutigen Berlin mit Sprachbilder aus Döblins Hiob-Erzählung kontrastiert.
Auch wie Qurbani die Welten der Prostitution vom edlen Call-Girl-Dasein und schicke Clubs bis zur tierischen Verrichtung im rot beleuchtetenden Plattenbauflur auffächtert, ist erschütternd packend und so kontrastreich wie der gesamte Film, den man nur ausgerechnet deswegen nicht Glanzstück nennen möchte, weil am Ende ein zu gleißendes falsches Stück Glück angeflickt wurde. Es gibt im Film viele Szenen, bei denen man aus dem Saal rennen möchte, weil man das Elend und die Grausamkeit dieser beklemmend realen Welt nicht mehr sehen will. Aber wirklich gehen sollte man einfach drei Minuten vor dem Ende.