Essen. Sein erster Film war für den Oscar nominiert. Nun kommt Henry Alex Rubins „Semper Fi“ in die deutschen Kinos.

An Ambitionen mangelt es Henry Alex Rubin wahrlich nicht. Mit „Semper Fi“, seinem zweiten langen Spielfilm, wagt sich der US-amerikanische Filmemacher, der für seine 2005 uraufgeführte Dokumentation „Murderball“ für den Oscar nominiert war, an ein großes Panorama der Vereinigten Staaten in den Zeiten der Kriege gegen den Terror.

Wie einst Michael Cimino bei seinem legendären Vietnam-Kriegsfilm „Die durch die Hölle gehen“ hat er sich für eine Erzählung in drei Kapiteln entschieden. Allerdings hat „Semper Fi“ mit 99 Minuten nur etwas mehr als die halbe Lauflänge von Ciminos Meisterwerk.

Vor zwei Jahren hat George W. Bush US-Truppen in den Irak geschickt, um Saddam Hussein zu stürzen. Ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht. Also warten der Reservist Callahan (Jai Courtney) und seine Freunde auf ihre Einberufung. Kurz bevor es so weit ist, gerät sein jüngerer Halbbruder Oyster (Nat Wolff) in eine Kneipenschlägerei mit tödlichem Ausgang. Während Callahan und die anderen für ein Jahr ins Kriegsgebiet gehen, wird Oyster wegen Mordes zu 25 Jahren Haft verurteilt.

Henry Alex Rubins „Semper Fi“ kommt ins Kino. In der Hauptrolle Jai Courtney

Im ersten Drittel von „Semper Fi“ nimmt sich Henry Alex Rubin ungewöhnlich viel Zeit. Die Handlung, die in den späteren Kapiteln deutlich an Fahrt aufnehmen wird, gerät erst einmal in den Hintergrund. In atmosphärisch dichten Bildern und Szenen erzählt er vom Leben in einer kleinen Industriestadt nahe der Grenze zu Kanada. Rubin fängt die Rituale seiner Protagonisten, die alle am untersten Rand der amerikanischen Mittelschicht leben und von ihren Erfahrungen als US-Marines geprägt sind, mit unvoreingenommenem Blick ein, ohne dabei den Machismo dieser nahezu ausschließlich weißen Männer zu beschönigen. Aber er verteufelt sie auch nie.

So entsteht ein komplexes Porträt einer Gruppe von Freunden, die vor allem füreinander leben und handeln. Nur den Streifenpolizisten Callahan zerreißt es innerlich. Auf der einen Seite will er seinen jüngeren Bruder, der sich selbst immer wieder in Schwierigkeiten bringt, unterstützen. Auf der anderen gilt seine Loyalität, das „Semper Fi“ des Titels (nach „Semper Fidelis“, dem „Immer treu“-Motto der US-Marines), den Eiden, die er als Polizist und Soldat geschworen hat.

Dieser Konflikt zwischen Familie und Vaterland, zwischen seinen persönlichen Überzeugungen und seiner Verpflichtung gegenüber einer Gesellschaft, die Männer wie ihn und seine Freunde benutzt und ausbeutet, entwickelt sich in den weiteren Teilen des Films zum Motor des Geschehens. Er ist es auch, der den überraschend realistisch in Szene gesetzten Action-Momenten eine emotionale Tiefe gibt.

Mit Ambition, aber ohne den langen Atem des ganz großen Kinos

Henry Alex Rubin will einen nicht mit Gewaltszenen oder Verfolgungsjagden überwältigen. Ihm geht es vielmehr darum, dass man versteht, warum seine Figuren so handeln, wie sie handeln. Auch das verbindet, „Semper Fi“ mit „Die durch die Hölle gehen“. Nur fehlt Rubins Panorama eines Landes, das sich auch in seinem Inneren in einem ständigen Kriegszustand befindet, der lange Atmen, der Ciminos Film unvergesslich macht.