Essen. Christian Stratmanns Mondpalast kam von Beginn an ohne öffentliche Gelder aus. Dann traf ihn Corona. Der Prinzipal wollte für immer dichtmachen.

Anderthalb Jahrzehnte Erfolgsgeschichte, über eine Million Besucher – und dann haut die Corona-Krise Nordrhein-Westfalens erfolgreichstes Komödientheater um. Auch der Mondpalast musste schließen. Stets kam das Haus ohne öffentliche Mittel aus. Die Pandemie macht alles anders. Lars von der Gönna traf Mondpalast-Prinzipal Christian Stratmann zum Gespräch in der größten Krise, die der Selfmade-Man je erlebt hat.

Herr Stratmann, wenn ich der Direktor Ihrer Hausbank wäre, was wäre heute Ihr erster Satz?

Christian Stratmann: Dass ich bis zum Shutdown so wunderbare Zahlen hatte, dass es für die Bank kein Problem sein müsste, mir einen guten Kredit zu geben. Das war tatsächlich so: Das Theater lief glänzend, im März waren wir schon bis in den Juni gut verkauft.

Sie hatten diese Woche Ensembleversammlung. Gibt es Menschen, die Sie fragen: Muss ich Angst haben, arbeitslos zu werden?

Ja sicher!

Was sagen Sie denen?

„Nein! Brauchst’ keine Angst zu haben.“ Natürlich: Wir fahren derzeit alle auf Sicht. Wenn eine zweite Welle kommt, bricht alles zusammen, auch der Mondpalast.

Sie haben den Palast erfunden, die größte Investition Ihres Lebens. Alles aus der Privatschatulle. Was löste die Krise bei Ihnen aus?

Als der Lockdown begann, glaubte ich: Das dauert einen Monat! Das kriegen wir hin. Als ich merkte, dass das ‘ne längere Geschichte wird, da hab ich gedacht: Soll ich jetzt meine Altersversorgung reinsetzen, alles ausgeben? Ich hab’ schlecht geschlafen. Wissen Sie, wir haben immer nur so viel Geld ausgegeben, wie wir hatten. Aber es war nie so, dass man wer weiß was für Rücklagen bilden konnte.

Sie dachten daran, den Laden wirklich zu schließen? Für immer?

Ja. Ich werde 70! Ich hätte aus meiner Altersversorgung eine Summe entnehmen können, um das Theater zu schließen und alle Verpflichtungen zu begleichen. Das hätte mir meinen Lebensabend nicht gerade verschönert, aber es wäre gegangen. Ich hab mich anders entschieden: Ich habe mich verschuldet, damit der Mondpalast weiterleben kann. Unserer Arbeit, der Atmosphäre und den Menschen wäre ein Aus einfach nicht gerecht geworden.

Ihr Theater hing nie am Tropf der Subvention. Das wollten Sie so! Ihre Stärke war auch, dass Ihnen kein Lokalpolitiker aus dem Aufsichtsrat reinredet. Hat Corona die Kehrseite der Unabhängigkeit gezeigt: Erstmal springt da niemand ein...

Wir hatten uns im letzten Jahr schon beworben, es gab Mittel vom Kulturministerium von insgesamt 700.000 Euro für die private Theater-Szene – eigentlich für technische Ausstattung, Brandschutz und so. Schon da erhält man Einblick, dass man natürlich abhängig ist und dass es nicht leicht nachzuvollziehen ist, wie man von wem für was erfolgreich unterstützt wird.

Zur Person

Christian Stratmann wurde 1951 als jüngstes von neun Geschwistern in Verl geboren. Sein Vater verstarb früh, die Mutter zog mit den Kindern nach Essen. Stratmann studierte Sozialwissenschaften, machte zunächst Karriere im Zeitschriftenvertrieb.

Mit seinem Bruder, dem Arzt und Kabarettisten Ludger Stratmann, machte er das Essener Europahaus zum Theater. 2004 gründete er den Mondpalast in Wanne-Eickel.

Dass Corona eines Tages im Mondpalast ein eigenes Stück gilt, glaubt Stratmann nicht: „Die Menschen werden wohl froh sein, dass es nicht mehr das alles bestimmende Thema ist.“

War das ein Angang für Sie: um Geld zu fragen?

Ja. Es kam aber erstmal nichts. In der Corona-Krise widmete das Land die Mittel um, was ja auch sinnvoll ist, weil der Ausfall der Einnahmen wichtiger ist als die neue Lichtanlage, die wir eigentlich gebraucht hätten. Aus dem Riesen-Corona-Schirm der vielen Milliarden bekommen die privaten Theater allerdings nicht einen Cent.

Haben Sie inzwischen Geld bekommen?

Nein. Mein Eindruck ist aber, dass der offene Brief unseres Intendanten Thomas Rech einen Ruck ausgelöst hat. Wir haben seit dieser Woche neue Anträge aus Düsseldorf.

Sind Sie nicht eigentlich Subventionsgegner?

Ich bin nie angetreten, Theater zu machen, um Subventionen zu bekommen. Aber ich hab nie ein Problem damit gehabt, dass ein Aalto Theater welche kriegt.

Wie erklären Sie dann, dass Sie nun Hilfe benötigen?

Ich bin mit dem Mondpalast als ganz normales Unternehmen angetreten. Im Lauf der Zeit habe ich schon gemerkt, dass auch wir einen Kulturauftrag erfüllen. Wenn Sie eine Bäckerei haben, die ohne Förderungsmittel gutes Brot macht, und man den Bäcker nebenan mit seinem guten Brot bis in die Unendlichkeit subventioniert, dann entsteht ein Ärger.

Sie machen heiteres Volkstheater. Erschwert es diese Tatsache, Hilfe zu bekommen?

Ja, ganz klar! Bestimmte Kulturpolitiker haben uns nicht auf dem Schirm. Das ist geradezu verrückt, weil bei uns Lebenswirklichkeit auf die Bühne kommt. Bei der Hochkultur haben wir schlechte Karten.

Sie möchten ab dem 4. September wieder spielen, ab wieviel Gästen reicht die Abstandsregelung für die schwarze Null?

Bei 100, wie wir es im Moment haben, zahle ich drauf. Ab 250 Gästen geht es, 500 Plätze habe ich im Mondpalast.

Erleben Sie Ihr Publikum als solidarisch?

Auf jeden Fall! Viele waren ganz toll, haben gekaufte Tickets „gespendet“, Gutscheine erworben und uns gemailt und Mut gemacht. Es gab auch wenige andere. Einer schrieb sinngemäß: „Wir wollen unser Geld zurück und zwar umgehend! Wir wissen ja nicht, ob es Sie noch lange gibt.“ Das war motivierend. (lacht herzlich)