Düsseldorf. Christian Erdmann wagt den Aufbruch in die Freiheit. Der Schauspieler hat sich aus dem Ensemble des Düsseldorfer Schauspielhauses verabschiedet.
Christian Erdmann könnte jammern. Darüber, dass die Pandemie ihm einen Strich durch die berufliche Rechnung gemacht hat. Weil sich das Virus ausgerechnet in dem Moment über die Welt hergemacht hat, als der Schauspieler nach 17 Jahren die Hand seines Mentors Wilfried Schulz losgelassen hat, um sich jenseits des Düsseldorfer Schauspielhauses und der beinahe väterlichen Obhut des Intendanten eine berufliche Freiheit zu erspielen. „Das war tatsächlich ein verdammt mieses Timing“, sagt der 45-Jährige über seine Entscheidung im vergangenen Jahr, die sichere Festanstellung im Ensemble aufzugeben.
Aber Christian Erdmann jammert nicht. „Mir geht es hervorragend“, sagt er und nimmt einen großen Schluck vom stillen Wasser. „Die Kinder sind gesund, wir können uns genügend Essen kaufen, haben Freunde, die im Notfall für uns da sind und durch die Solidarität des Theaters, das die Gage der ausgefallenen Vorstellungen auch für die freien Schauspieler übernimmt, können wir die Wohnung bezahlen.“ Letzteres ist in Zeiten wie diesen ein Kraftakt, denn die Miete hat sich für Familie Erdmann mit dem Sprung von Dresden nach Düsseldorf verdreifacht. Willkommen im Westen.
Tägliches Sportprogramm mit Fitness-App im Park
Mit dem Rad ist mein Gesprächspartner über die Rheinbrücke zum Treffpunkt im Freiluftcafé des Kunstmuseums gekommen. Gut sieht er aus. Der 1,90 Meter-Mann wirkt deutlich jünger und frischer als zuletzt als König von Dänemark auf der Bühne im Großen Haus oder als mordender Jugendamtsleiter im neusten Köln-Tatort. Die Frage nach einem Stückchen Kuchen zum Interview wird mit eindeutigem Kopfschütteln beantwortet. „Ich mache Diät!“ Fünf Kilo sind runter. Daran hat das tägliche Sportprogramm mit Fitness-App im Park einen gewichtigen Anteil. Christian Erdmann macht sich bereit für ein neues berufliches Kapitel, das so vor vier Jahren noch nicht absehbar war.
2016 hatte der Schauspieler mit seiner Familie die Koffer gepackt, um dem damals frisch gekürten Intendanten Wilfried Schulz aus Dresden an den Rhein zu folgen. Als Gilgamesch hat sich Erdmann zum Auftakt im improvisierten Spielzelt auf der Kö im theatralischen Duett mit dem Kollegen André Kaczmarczyk im Dreck gewälzt. „Das war ein toller Versuch, sich mit dem Theater in die Stadt zu spreizen“, blickt er zurück auf diese für ihn „beglückende Erfahrung“ während der am Ende so nervenaufreibenden Sanierung des Schauspielhauses. Es folgten Herausforderungen wie Michael Kohlhaas, Der Idiot, Unterwerfung, Hamlet, Fanny & Alexander, Momentum und zuletzt Strindbergs Traumspiel, das es wegen Corona nicht mehr bis zur Aufführung geschafft hat. Und dann der Lockdown: In den letzten Monaten gab es Theater für den zweifachen Familienvater nur noch zuhause — wenn das Homeschooling des achtjährigen Sohnes mal wieder zum Drama wurde.
Doch jetzt leuchtet ein kleines, aber intensives Licht am Ende des Tunnels. Nachdem sich die Familie finanziell von Monat zu Monat gehangelt hat, weil die einkalkulierten Filmeinnahmen ausfielen, scheint der Schauspieler in der zweiten Jahreshälfte beruflich endlich das leben zu können, was ihm vor einem Jahr so ein wunderbar befreiendes Kribbeln im Bauch beschert hat. „Ich kann jetzt zum ersten Mal so richtig selber entscheiden, was ich machen möchte“, sagt er und tatsächlich passt das viel zu oft bemühte Wort-Klischee der „leuchtenden Augen“ in diesem Moment ausgesprochen gut. Christian Erdmann blinzelt glücklich in die Juni-Sonne. „So ein Gefühl hatte ich zuletzt, als ich mit 18 zuhause ausgezogen bin.“
„Es läuft erstaunlich gut“, hatte er 2017 in einem Interview erzählt. Gemeint waren die Produktionen fürs Fernsehen, die nicht nur zahlreicher, sondern auch erfolgreicher wurden. Der im thüringischen Rudolstadt geborene Schauspieler, den viele als den charmanten Kommissar an der Seite von Christiane Paul und Julia Jentsch aus den Ostfriesen-Krimis kennen, spielt sich in „Aufbruch in die Freiheit“ in eine andere Liga: Der Film wird für den Grimme-Preis nominiert und gewinnt den Deutschen Fernsehpreis und die Goldene Kamera 2019. Und dann verselbständigt sich die Sache. Christian Erdmann ist drin in den Köpfen der TV-Regisseure. Und er bekommt neben dem ostfriesischen Dauerbrenner Rollenangebote, die ihn thematisch noch ganz anders herausfordern.
Für fünf Produktionen, die jetzt nach der Corona-Auszeit von Juli bis Dezember realisiert werden sollen, hat er feste Zusagen. Dabei haben vor allem die Frauen auf dem Regiestuhl offenbar entdeckt, wie intensiv Erdmann die Rollen von Vätern in schwierigen Lebenslagen spielen kann. „Der harte Kerl mit weichem Herz und verletzlicher Seele zieht sich durch einige meiner Rollenbilder hindurch.“ Ein Profil, das ihm auch deshalb liegt, weil ihm die Themen persönlich nahe gehen. „Das hätte ich so nicht gekonnt, als ich noch keine Kinder hatte.“ Wenn die Pandemie-Zahlen stabil bleiben, dann startet sein Reigen der Fernsehfilme im Juli mit der ZDF-Produktion „Wer rettet Emily“, in der Erdmann als Vater eines schwerkranken Kindes gegen die Allmacht der Pharmaindustrie kämpft. „Das verspricht spannend zu werden. Darauf freue ich mich wahnsinnig.“
„Man muss seelisch gesund bleiben und seine Grenzen anerkennen“
Für die Entscheidung, sich vom Theater ein Stück weit abzunabeln, hat auch die lange Zeit im „Central“, dem Ausweichquartier des Schauspielhauses, eine Rolle gespielt. „Die spielfeindliche Atmosphäre dort hat mich müde und mürbe gemacht.“ In einer seiner allerersten Begegnungen mit Schauspielern hat Christian Erdmann als junger Mann die Entdeckung gemacht, dass viele von ihnen „so grau und kaputt“ aussahen. „So wollte ich nie werden. Ich kenne so einige Kollegen, die sich in dem Beruf verlieren.“ Sein Rezept: „Man muss seelisch gesund bleiben und seine Grenzen anerkennen.“ Als sein Akku leer war, schraubte er das Pensum herunter und als er zum ersten Mal Langeweile bei einem Stück verspürte, da wusste er: „Ich muss den Schritt wagen. Ich bin so neugierig auf all das, was noch möglich ist.“ Das Gute ist: Die Tür zum Düsseldorfer Schauspielhaus bleibt offen, der Intendant hat den Befreiungsflug seines Zöglings akzeptiert und ihm eine Theater-Produktion pro Jahr zugesagt.