Berlin. Jürgen Holtz, bekannt aus seiner TV-Rolle als „Motzki“, spielte noch mit 86 nackt den Galileo Galilei im Berliner Ensemble. Nun ist er gestorben.
Mut hatte Jürgen Holtz bis zuletzt. Am Berliner Ensemble stellte er sich mit 86 Jahren auf die Bühne – splitternackt. Holtz spielte Galileo Galilei, fast sechs Stunden dauerte die Inszenierung von Frank Castorf, die Nacktszene aber war Holtz’ Einfall. So stand er da, zerbrechlich, aber mit wuchtigem Text auf der Bühne. Die Haut, wabblig geworden vom Leben. Holtz schreckte das nicht ab. „Ich muss das volle Risiko eingehen“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“ damals, „anders geht es nicht“. Nun ist er im Alter von 87 Jahren gestorben, wie das Berliner Ensemble am Sonntag bestätigte.
Das Berliner Ensemble war nur eines von vielen Theatern, an denen Holtz aufgetreten ist. Geboren 1932 in Berlin, entschied er sich nach seiner Schulzeit fürs Theater: Er studierte in Weimar und Leipzig, erste Rollen übernahm er in Erfurt und Brandenburg. Holtz arbeitete mit Theatermachern wie Benno Besson, Einar Schleef und Heiner Müller. Anfang der 1980er verließ er Holtz die DDR. Und machte Bühnenkarriere. Für seine Darstellung im Drama „Katarakt“ von Rainald Goetz in Frankfurt/Main bekam er den Gertrud-Eysoldt-Ring. Die Zeitschrift „Theater heute“ machte ihn damals zum „Schauspieler des Jahres“. Auch in Filmen sah man ihn, etwa in der DDR-Komödie „Good Bye, Lenin!“ und in Margarethe von Trottas Porträt „Rosa Luxemburg“.
„König des Monologs“
Mut bewies er auch im Fernsehen. Anfang der 1990er Jahre spielte er als Hauptrolle in der ARD-Serie „Motzki“ einen hemmungslosen Nörgler, der aus dem Mosern nicht herauskam. Die Serie nahm satirisch die deutsche Wiedervereinigung aufs Korn: „Die ganze Welt fragt sich: Weshalb kommen die Zonendödels nicht aus ihren Startlöchern raus?“ Motzki war eine heikle Rolle, die Holtz auch Kritik von Zuschauern einbrachte. Geschrieben wurde die Serie von Wolfgang Menge, der auch „Ekel Alfred“ erfand. Motzki war eine heikle Rolle, die dem Schauspieler auch Kritik von einigen Zuschauern einbrachte.
Er sei „ein Grantler, ein feiner Gedankenverfertiger im Sprechen, ein König des Monologs“, schrieb 2013 treffend die Jury, die ihm für herausragende Verdienste den Berliner Theaterpreis zusprach, wenig später folgte der Konrad-Wolf-Preis für sein Lebenswerk.
Fast ein Herzschlag nach Grüßen von Frank Castorf
„Es geht nicht um Erfolge, es geht um Verwirklichung. Erfolg ist nichts“, sagte Holtz in einem Interview der „Berliner Zeitung“ vom Januar 2019. „Wenn man gebauchpinselt wird, freut man sich, aber die Premierenfeier dauert ja nicht ewig.“ Dass ihm die Hauptrolle in Bertolt Brechts „Galileo Galilei“ angeboten wurde, hatte er wohl nicht erwartet. „Der Dramaturg richtete mir Grüße von Castorf aus und fragte, ob ich diese Rolle spielen will. Ich dachte, ich kriege einen Herzschlag.“ Brecht erzählt in dem Theaterstück von Wahrheitssuche, Fortschritt und Verantwortung.
Selbst als Zuschauer ins Theater ging Holtz nach eigenen Worten nicht mehr. „Die Theater von heute machen aus Poesie Prosa“, sagte er der „Berliner Zeitung“. „Sie brechen die Kunst herunter auf die kleinen Verhältnisse. Onkel Soundso hat Probleme mit seiner Frau, und das Ganze spielt letztlich auf dem Klo.“ Aber wenn man die Dinge herunterhole in den Alltag, was bleibe dann übrig? „Warum soll ich mich mit dem Verdunkelten und Verkleinerten zufrieden geben? Warum soll ich die Sterne nicht sehen wollen? Weil sie zu hoch hängen?“, sagte Holtz. „Das verstehe ich nicht.“