Dortmund. Igor Levit und Ludwig van Beethoven: Beim Klavier-Festival Ruhr in Dortmund erlebte das Publikum, was der Pianist dem Komponisten zu sagen hat.
Seit Igor Levits - von allen Seiten mit Lorbeer überschütteter - Gesamteinspielung sämtlicher Klaviersonaten des Bonner Meisters Ludwig van Beethoven gilt die Paarung als eine Art „Dream-Team“ der Klassik.
Im Konzerthaus Dortmund konnte sich das Publikum jetzt beim Klavier-Festival Ruhr „leibhaftig“ davon überzeugen, was Levit zu Beethoven zu sagen hat. Und nicht zu einem der weniger problematischen „Leichtgewichte“, wenn es die überhaupt bei Beethoven geben sollte, sondern zu den drei letzten Sonaten. Rätselhafte Dokumente der Gefühls- und Gedankenwelt des späten Beethoven in derart verschlüsselten Tonsprachen und Formen, in deren letzte Geheimnisse weder Interpreten noch Hörer jemals vollständig eindringen dürften.
Levit nähert sich den Werken aus einer romantischen Position
Levit betont den extrem subjektiven, jeden Zeitgeist wegwischenden Charakter der mysteriösen Botschaften und nähert sich den Werken aus einer romantischen Position. Dass er den 1951 verstorbenen Artur Schnabel als Idol verehrt, ist nicht zu überhören. Auch wenn Levit auf Schnabels dramatische Extreme und dessen existenziell bedrohliche Einblicke in depressive Abgründe verzichtet.
Möglicherweise ist der Schlüssel zum Riesenerfolg seiner Beethoven-Interpretationen gerade darin zu finden, dass Levit dem Ernst der Werke nichts schuldig bleibt, aber dennoch stets einen versöhnlich hoffnungsvollen Schimmer anklingen lässt. Die langsamen Sätze bringen den Hörer zwar zum Grübeln, stürzen ihn aber in keine Depression. Das gilt auch für das Finale der letzten Sonate op. 111, einer allem Irdischen abgewandten Arietta, die Levit gelassener zum Klingen bringt als Schnabel, dafür aber auch erträglicher als Schnabel mit dessen Krisen-Szenarien. Auch den Zugang zu den geradezu bizarren Formkonstruktionen erleichtert Levit, wenn er die Zerrissenheit der Teile kontrastreich ausspielt, ohne sie durch Extreme auseinanderzureißen.
Momente der Erstarrung und atemlose Hektik
Dadurch bleibt selbst ein kaum zu bändigendes Formen-Monstrum wie der Schlusssatz der vorletzten Sonate op. 110 nachvollziehbar. Ein fast collagenhafter Mix aus Momenten der Erstarrung, melodischer Gelöstheit, strenger Kontrapunktik und atemloser Hektik. Manches mag glatter klingen als bei Schnabel oder Kempff. Die Irritation angesichts der beispiellosen Tonsprache und Architektur bleibt aber auch mit Levits konzilianterem Werkverständnis erhalten.
Es ist auf jeden Fall ein gewichtiges Wort, das Levit zu Beethoven zu sagen hat. Eine Zugabe verweigerte Levit dem begeisterten Dortmunder Publikum. Zu Recht. Was könnte den letzten Tönen von op. 111 folgen, ohne die Nachhaltigkeit des ausdrucksstarken Adagios zu verwässern?