Moers. Improvisation im Stundentakt: Das 49. „Moers Festival“ zeigte als Online-Event aktuelle Jazz-Entwicklungen. Ein Rückblick auf vier Festival-Tage.

Tim Isfort, der künstlerische Leiter des „Moers Festival“, dachte wohl: ,„Viel hilft viel“: Bei dem erstmals nur online präsentierten Pfingstereignis hat er 216 Musikern in 39 Konzerten plus den „Moers Sessions“ eine Auftrittsmöglichkeit – und ein Einkommen – geboten.

Was in der fast menschenleeren Studio-Atmosphäre ein seltsames, gleichwohl intensives Erlebnis war, erwies sich im Laufe der vier Festivaltage als Überblick der aktuellen mitteleuropäischen Jazzszene. Dass trotz Corona 24 Nationen vertreten waren, lag an zwei Umständen. Zum einen leben viele internationale Künstler in Deutschland, zum anderen nutzte Tim Isfort seine Kontakte zur Kulturpolitik, um für einige seiner Wunschmusiker Passierscheine auszuhandeln. Ein wichtiges Statement für die Systemrelevanz von Kunst und Musik.

Improvised Music in faszinierend schillernder Bandbreite

Passend zum notgedrungen über weite Teile improvisierten Programm gab es denn auch überwiegend Improvised Music in faszinierend schillernder Bandbreite. Vom intimen Solo-Auftritt wie dem des geräuschhaft-frickligen Analog-Syntheziser-Spezialisten Richard Scott oder dem virtuos-hypnotischen Tastendonner von Chilly Gonzales bis hin zu großformatiger Klangpracht, etwa des Kölner EOS Kammerorchesters, das mit dem „Niels Klein Trio“ in moderner Third-Stream-Ästhetik schwelgte.

Das heimische Monster-Ensemble „The Dorf“ zerlegte mit opulentem Spielwitz farbenreich Beethovens Fünfte. Das „Auner Quartett“ und das Landesjugendorchester NRW kontrastierten dies mit einigen Bagatellen des Titanen. Und dass der Moers-Veteran Wolfgang Puschnig am Altsax mit dem Tastenberseker Wolfgang Mitterer zu Herbert Pirkers packenden Beats Ludwig van B. gnadenlos genial durch den Wolf drehte, krönte die Beethoven-Schiene famos.

Publikumsjubel kam in diesem Jahr nur aus der Konserve

Starke Musikerinnen gab es diesmal zuhauf. So die fantasievolle Louise Volkmann, die ihr zwischen Minimalismus und Improvisation wirkmächtig leuchtendes Ensemble „Été Large“ vorstellte. Über die eigens zusammengestellte Combo „51% feat. Silke Eberhard & Guests“, deren Star am Altsax später mit ihrem „Potsa Lotsa XL“ für Eindruck sorgte – der Publikumsjubel kam ja in diesem Jahr nur aus der Konserve. Wunderbar die Begegnung der Kölner Pianistin Laia Genç mit dem burmesischen Trommler Hein Tint, bewegend das mit Stimme, Posaune, Geige und Cello originell besetzte Quartett „Hilde“ und kraftvoll die Ad-hoc-Band der brasilianischen Schlagzeugerin Mariá Portugal, derzeit Moerser „Improviser in Residence“.

Doch auch die Herren boten starke Leistungen in Sachen Improvisationsartistik. Wobei der Vergleich zwischen „Stillman / Burgwinkel / Landfermann“ oder dem Piano-Trio „Grünen“ ebenso spannend war wie die Beobachtung der Altmeister wie Gunter Hampel an Vibraphon und Bassklarinette oder Free-Drummer Sven-Åke Johansson.

Der vielleicht coolste Auftritt des Festivals

Ein abwechslungsreiches Vergnügen im Stundentakt samt einiger Bonbons wie dem filigranen Vokal-Ensemble „Sjaella“ oder dem grandiosen Projekt „Evil Nigger: Martin – Schumacher – ter Braak – Zhulali play Julius Eastman“ an vier Flügeln, was diesmal alles online nachgehört werden kann. Das lohnt sich auch, weil Vibraphonist David Liebman den vielleicht coolsten Auftritt des Festivals hinlegte und lässig an die Wurzeln des Jazz erinnerte.