Weimar. Marcel Lepper wird Direktor des Goethe- und Schiller-Archivs Weimar. Im Interview verrät er Pläne, er macht auch vor dunklen Kapiteln nicht halt.
Manches, was hier aufbewahrt wird, hat die Unesco in ihr Dokumenten-Welterbe aufgenommen: Das Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar beherbergt originale Schriftstücke der berühmtesten Autoren und Denker vieler Jahrhunderte. Es ist Deutschlands ältestes Literatur-Archiv. Die Sammlung umfasst nach eigenen Angaben „etwa fünf Millionen Blatt“. Der designierte neue Direktor, Marcel Lepper, will sich aber nicht nur den Dokumenten selbst, sondern auch der Geschichte des Hauses widmen – auch wenn es unangenehm wird, wie er im Interview sagt.
Für einen Literaturwissenschaftler wie Sie muss die Direktorenstelle im ältesten Literaturarchiv Deutschlands doch ein Traum sein, oder nicht?
Marcel Lepper: Das Archiv ist nicht nur symbolträchtig, es hat auch viele Impulse für Fächer und Kulturpolitik gesetzt. Auch auf internationaler Ebene muss man den Namen nicht erklären. Was Weimar ist, wer Goethe, Schiller, Nietzsche sind – das ist gerade deshalb neu zu erkunden. Das Archiv wird häufig in Juwelen-Metaphorik beschrieben. Ohne daran kratzen zu wollen, würde ich es gerne mit dem ersten Direktor des Archivs – Erich Schmidt – halten, der von einem Magneten gesprochen hat. Das Archiv soll anziehend, stark und energetisch sein.
Marcel Lepper will als Direktor im Weimarer Archiv die Digitalisierung der Klassiker vorantreiben
Was schwebt Ihnen dafür vor?
Mir geht es darum, große laufende Projekte stärker in die Sichtbarkeit zu holen wie das Propyläen-Projekt zu Goethes Leben und Korrespondenz. Auch die Digitalisierung ist mir ein wichtiges Anliegen. Wie entscheidend es ist, unabhängig von einem Standort auf Digitalisate zugreifen zu können, zeigt die Corona-Krise nun nur noch deutlicher. Als Institution können wir Manuskripte hochaufgelöst im Netz zeigen. Einem kostbaren Goethe-Original tut es keinen Abbruch, wenn es zugleich online erreichbar ist. Beim digitalen Wandel ist entscheidend, dass große Datenmengen erhoben werden. So kann man Netzwerke in Dimensionen rekonstruieren, die mit Auge, Stift und Papier nicht erfassbar sind. Wer hat mit wem wann und wo korrespondiert? Ich möchte die Zeit um 1800 datenintensiv machen.
Als Direktor werden Sie aber doch sicherlich nicht nur Tagebücher und Briefe digitalisieren wollen?
Das Kerngeschäft ist die Arbeit mit Forschenden und Editoren, auch das Zusammenspiel in der Klassik Stiftung Weimar, etwa mit der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Besonders freue ich mich auf die Goethe-Bestände, etwa auf die Möglichkeit, in der komplexen Überlieferung zur Gedichtsammlung „West-östlicher Divan“ zu graben.
Goethe und Schiller waren auch ein Magnet für Rechtsextremisten
Welche Aufgaben warten im Archiv noch auf Sie?
Mir ist auch wichtig, die Geschichte der Institution genauer ins Auge zu fassen. Das Archiv und seine Strahlkraft wurden nicht nur im Guten benutzt. Im frühen 20. Jahrhundert war die Goethe- und Schiller-Verehrung durchaus auch ein Aktionsfeld für Rechtsextremisten. Das ist ein Kapitel, das angefasst werden muss, gerade weil es unangenehm ist. Da geht es etwa um den Nachlass von Adolf Bartels (1862-1945). Er war Kulturjournalist, Literaturwissenschaftler und in seiner Zeit extrem populär. Seine antisemitischen Texte entfalteten fatale Wirkung und leisteten dem Aufstieg der NSDAP Vorschub. Der Bestand im Archiv ist noch nicht so kritisch aufgegriffen, wie man sich das erhoffen würde. Adolf Bartels arbeitete mit Provokationen, mit Hassrhetorik – Mittel, denen wir heute in politischen Kontexten auch wieder begegnen. Gerade um dieses Thema anzugehen, könnte ich mir etwa ein Pilotprojekt mit Schülerinnen und Schülern vorstellen. Auch dem Thema Provenienzen möchte ich verstärkt Aufmerksamkeit widmen: Man lernt mehr über das, was man hat, wenn man weiß, wie es dahin kam.
ZUR PERSON:
Der bisherige Leiter des Literaturarchivs der Berliner Akademie der Künste, Marcel Lepper (42), wechselt zum 1. Juli nach Weimar.
Lepper studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie, er promovierte in Berlin und habilitierte sich in Stuttgart in Germanistik. Von 2008 bis 2018 leitete er das Forschungsreferat im Literaturarchiv in Marbach.
dpa