Essen. Jürgen Lodemanns Roman „Mars an Erde“ blickt durch die Zukunft in die Vergangenheit des Mars zurück und erkennt ein Horror-Spiegelbild der Erde.

Auf die Frage aus dem Proust’schen Fragebogen nach seiner Lieblingsreise antwortete Jürgen Lodemann einmal: „Zwischen meinen Ohren.“ Auch deshalb ist sein neues Buch „Mars an Erde“ vielleicht ein Reiseroman zu nennen – aber eigentlich kann es ja gar keiner sein, denn als Lodemann vor fast zehn Jahren seinen wüsten Roman „Salamander“ über das dritte Geschlecht veröffentlichte (lange, bevor es zum Thema von Debatten bis in den Bundestag wurde), hieß es bereits, dies sei sein letzter. Und als vor über zwei Jahren Lodemanns Nachlass zu Lebzeiten an das Düsseldorfer Heine-Institut ging, sah es noch mehr nach Schreibtischaufräumen aus.

Siegfried und „Regina“

Doch seit dem „Salamander“-Roman erschien noch mancherlei: Nach der Novelle „Fessenheim“ über den französischen Pannen-Reaktor auch ein „Siegfried“-Drama in 33 Szenen über dessen „reale Geschichte“, in der der Held aus Xanten im späteren Ruhrgebiet das Schmieden lernt, sowie mit „Drachen töten“ ein veritabler Sammelband von gehaltenen Reden und ungehaltenen Essays über Lodemanns Lebens-Themen vom zweiten Mord an Siegfried durch Richard Wagner und die Friedfertigkeit der ältesten Nibelungenlied-Überlieferung über die Kulturhauptstadt Essen bis zu Lortzings Revolutionsoper „Regina“ mit streikenden Arbeitern.

Zur Person

Jürgen Lodemann wurde 1936 in Essen geboren, studierte in Freiburg, volontierte bei der „Welt“ und kam 1965 als Redakteur zum Südwestfunk. Nicht zuletzt für seinen Anita-Drögemöller-Roman wurde der Schriftsteller 1987 mit dem Literaturpreis Ruhr ausgezeichnet; 2002 erhielt er den Literaturpreis der Stadt Stuttgart. Jürgen Lodemann lebt heute in Freiburg.

Und nun, mit gerade 84 Jahren, doch noch mal ein neuer Roman. Der freilich konzipiert ist wie ein Hörspiel: Da wird ein zurückgekehrter deutscher Mars-Astronaut im Flugzeug zwischen den USA und Berlin interviewt vom führenden deutschen Nachrichtenmagazin. Der Reporter Marc Hecker wird im Laufe des Dialogs mit dem Marsfahrer Frank Brandt nur selten unterbrochen, etwa von Heckers Digital-Kollegen oder vom Flugzeugkapitän. So stellt sich ganz allmählich heraus, dass die Brandt und seine drei amerikanischen Raumfahrtkollegen gleich nach der Landung interniert wurden und Brandt nur unter abenteuerlichen Umständen der strengen Bewachung entkommen konnte.

Untertageschächte wie im Revier auch auf dem Mars

Bis Brandt allerdings ins flüssige Reden über das kommt, was er mit den anderen Astronauten auf dem Mars erlebt hat, ist eine Menge Palaver zu überstehen. Etwa ab der Mitte des Buchs wird es dann immer spannender: Mehr und mehr zeigt sich, dass der Mars eine weit zurückliegende, katastrophale Vorgeschichte hat, in der sich das aktuelle Schicksal der Menschheit als bedenken- und rücksichtsloser Konsum eines ganzen Planeten spiegelt.

Die Mars-Lebewesen, die offenbar auch schon die Erde erkundet hatten in Zeitaltern, als der heute blaue Planet noch unbewohnbar war, hatten sich, um daheim überleben zu können, in immer tiefere Kraterschächte eines erloschenen Riesenvulkans zurückgezogen (wobei die Untertage-Schachtwelt des Ruhrgebiets ausdrücklich als Vorbild zur Geltung kommt). Sie wandte immer perfektere Überlebenstechnologien an, waren aber offenbarer unfähig, die Nutzung von Ressourcen gesellschaftlich so zu organisieren, dass sie nicht in einer Versteinerung allen Lebens mündete.

Die Nachricht geht um die Welt

Dass sich die Nachricht darüber mit einem geheimnisvollen Whistleblower „XY“ auf wundersame Weise am Ende doch über die Erde verbreitet, verbunden mit der „endscheidenden“ Hoffnung auf „Kommunikation“ und dem alten Gruß „Glück auf“, lässt die Bewältigung der Corona-Krise erst recht wie einen Testlauf für den Umgang mit einer weit gefährlicheren Problematik wirken.

Jürgen Lodemann: Mars an Erde. Beschreibung eines Planeten. Klöpfer, Narr, 259 S., 25 Euro.