Berlin. Jazz- und Soul-Sänger Gregory Porter im Gespräch über Diskriminierung, Donald Trump und sein neues Album „All Rise“, das am Freitag erscheint.
Er ist und bleibt eine imposante Erscheinung. Gregory Porter, der Soul- und Jazz-Sänger aus Bakersfield in Kalifornien, begrüßt den Gast in seinem Berliner Hotelzimmer im taubenblauen Maßanzug inklusive Einstecktuch, adretter geht es nicht. Porter, 48, will natürlich über sein neues, musikalisch reichhaltiges wie romantisches Album „All Rise“ zu sprechen, das er in Los Angeles, London und Paris aufgenommen hat und am Freitag in den Handel kommt. Auf dem Kopf trägt er wie immer seinen typischen Mützenschal - ist ja vielleicht auch gut gegen Corona...
Mr. Porter, wo sammeln Sie die Ideen für neue Songs?
Gregory Porter: Mein Kopf ist immer eingeschaltet und für Melodien und Textzeilen auf Empfang. Meine besten Einfälle habe ich allerdings regelmäßig in meinem Auto..
Was fahren Sie denn?
Ein Mercedes-Benz-Coupé 250C von 1971. Pastellweiß. Ein wirklich wunderbarer Wagen. Dieses Auto wollte ich immer haben, es ist so richtig unverschämt nostalgisch.
Ihr Traumauto also?
Ja. Wir sind derselbe Jahrgang, mein Mercedes und ich. Und, ganz wichtig, ich passe hinein. Früher wollte ich immer einen 450SL haben. Als ich dann genug Geld hatte, fuhr ich ihn zur Probe und stellte fest, dass ich mit dem Schädel immer an die Decke bollerte. Im kalifornischen Bakersfield, wo ich mit meiner Frau Victoria und unserem Sohn Demyan lebe, gehen viele kleine, kurvige Straßen in die Berge hinauf. Dort gurke ich gerne einfach ziellos umher. Meistens ganz alleine, manchmal auch mit meiner Frau. Ihr wird aber schlecht, wenn ich fahre, deshalb schleiche ich mich hin und wieder frühmorgens unter irgendeinem Vorwand aus dem Haus und kurve eine Runde durch die Gegend.
Sie sind viele Jahre getingelt. Der große Durchbruch gelang Ihnen vor sechs Jahren mit dem Album „Liquid Spirit“. Es scheint, als hätten Sie sich an den Erfolg gewöhnt.
Ich habe lange warten und darben müssen, bis ich mir diese Dinge leisten konnte. Ich bin immer noch fasziniert und überrascht, heute diese Möglichkeiten zu haben und auf der ganzen Welt singen zu dürfen. Das soll keine falsche Bescheidenheit sein. Ich weiß, was ich kann. Aber ich bin sehr dankbar.
Was war Ihr Ziel mit dem neuen Album?
Ich will das Rad mit „All Rise nicht neu erfinden. Ich singe Blues, Pop, Jazz, Soul. Was ich mit den Jahren sicherlich gelernt habe, ist es, ausdrucksstark und angstfrei zu singen. Sogar vor ein bisschen Schmalz schrecke ich nicht zurück (lacht).
Stücke wie das an warmem Motown-Soul orientierte „Everything You Touch Is Gold“ oder „Phoenix“ klingen sehr positiv und aufbauend. Mit Absicht?
Oh ja. Der rote Faden auf dieser Platte ist mein unerschütterlicher Glaube an das Gute und an die Liebe. Es begeistert mich, Lieder zu singen, die dich körperlich und emotional regelrecht aufrichten. Ich will, dass meine Songs klingen wie startende Raketen.
So wie „Phoenix“. Oder „Concorde“, benannt nach dem eingemotteten Überschallflugzeug.
Die Idee hinter „Concorde“ ist es, mit doppelter Schallgeschwindigkeit heimzureisen, zu den Liebsten. Meine Familie, meine Brüder und Schwestern, meine Gemeinde, diese Menschen sorgen dafür, dass ich auf dem Boden bleibe, geerdet, und nicht abhebe.
Sind Sie jemals mit der Concorde geflogen?
Nein, nie. Ein cooles Flugzeug, aber ökonomisch und ökologisch wohl nicht tragbar. Ich denke sowieso viel über meinen CO2-Fußabdruck nach, der ziemlich groß ist. Andererseits: Ich reise sehr viel, damit die Leute, die zu meinen Konzerten kommen, nicht so weit fahren müssen.
In „Mr. Holland“ singen Sie: „Danke, dass Sie normal sind“. Von wem handelt dieses Stück?
„Mr. Holland“ basiert auf einer wahren Geschichte, die ich jedoch geändert habe, damit sie positiv ausgeht. Ich wollte als Jugendlicher ein Mädchen, dass ich sehr mochte, zum Tanzen ausführen. Eine Weiße, Als ihre Eltern herausfanden, dass ich schwarz bin, verboten sie ihr den Kontakt mit mir. In dem Song jedoch reagiert „Mr. Holland“, der Vater, nicht rassistisch, sondern normal und freundlich. Er sieht mich nicht als Schwarzen, sondern als Jungen, der auf seine Tochter steht.
Wie sehr hat die Erfahrung sie damals getroffen?
Sehr. Ich war 17. Ich habe diese Abweisung als traumatisch empfunden. Puh. Ich weiß das alles noch genau. Ihr Bruder war taub und sprach wenig. Er verständigte sich mit Zeichensprache. Er meinte zu mir, seine Eltern denken, dass ihre Tochter etwas Besonderes ist und deshalb nicht mit einem schwarzen Jungen zusammen sein sollte. Ich meine, was wertet mich denn so ab? Ist es nur die Hautfarbe? Als Teenager ist eh schon alles verwirrend genug. Diese Episode hat mich noch zusätzlich verstört.
Woher wissen Sie eigentlich so gut über die Liebe Bescheid?
Ich denke viel nach, und mir wird auch viel erzählt. Oft kommen Freunde, um mit mir über ihre Liebesbeziehungen zu sprechen.
Geben Sie gerne Tipps?
Ja, das tue ich. Das war schon in der Schule so. Mein Bruder war sehr witzig, er hat alle zum Lachen gebracht. Zu mir kamen die Leute mit ihren Problemen. Ich war der Fachmann für Teenagerliebe. Weniger, weil ich so ein Checker war, sondern weil ich gut zuhören konnte und eine beruhigende Stimme habe. Bis heute ist das praktisch so geblieben. Nur, dass mich die meisten Menschen nun lieber über die Liebe singen als reden hören. Doch selbst dann denken sie, sie können wir vertrauen.
Therapieren Sie Ihr Publikum?
Auf jeden Fall. Die Leute erzählen mir Dinge wie „Dieser Song lief, als mein Vater starb“ oder „Wir machten unser kleines Mädchen zu deiner Platte.“ An ein Pärchen erinnere ich mich ganz besonders. Die beiden lebten noch zusammen, aber sprachen nicht mehr miteinander. Sie saßen schweigend im Auto, als mein Song „Insanity“ vom „Take Me To The Alley“-Album lief, der von Schwierigkeiten in meiner eigenen Beziehung handelt. Sie sagten zu mir, dass sie beide anfingen zu weinen und sich nach langer Zeit das erste Mal wieder anschauten.
Haben Sie eigentlich nie den Drang verspürt, ein politisches, ein Anti-Trump-Album aufzunehmen?
Die ersten vier, fünf Songs, die ich schrieb, hatten alle irgendwo mit ihm zu tun. Ich habe das dann gestoppt. Ich wollte nicht, dass Trump das Zentrum meines Albums bildet, das ist auch nicht meine Art, mich künstlerisch zu artikulieren. Am Ende blieb nur ein politischer Song übrig: „Real Truth“ spricht über die Neigung, eine klare Lüge zu erzählen und einfach zu behaupten, es sei die Wahrheit.
Sie sagten vor drei Jahren, Sie glauben, Donald Trump werde im Amt dazulernen. Hat er das?
Nein. Er hat sich eingerichtet in seinem Gebaren. Er sieht, dass seine Art nicht unisono zurückgewiesen und verabscheut wird, sondern dass er etwa fünfzig Prozent Unterstützer hat. Das macht ihn glücklich. Mich aber nicht. So wie er redet, wie er Menschen gegeneinander ausspielt, das ist schockierend. Ich will nicht, dass Donald Trump meinem Sohn die Zukunft versaut. Ich bin mehr als bereit für ein neues Kapitel.