Der Bochumer Politik-Veteran Norbert Lammert (CDU) bekam als junger Mann den geballten Beethoven: als Klassik-Abonnent in Bochum.

„Mein Beethoven“ beginnt mit Franz-Paul Decker in meiner Heimatstadt Bochum. Decker war damals Generalmusikdirektor, meine Eltern hatten mir mein erstes Konzertabo geschenkt. Dieses Abo fiel zufällig in Deckers letzte Bochumer Saison. Die Stadt Bochum hatte seinen Vertrag nicht verlängert mit der denkwürdigen Begründung, dass er gleichzeitig die Chefposition in Rotterdam übernommen hatte. Das empfand man in der Stadtspitze als Zumutung: „Entweder hier oder gar nicht.“ Heute ist es eher umgekehrt, aber so war eben die Zeit.

Jedenfalls gab es in Deckers letzter Spielzeit einen kompletten Beethoven-Zyklus: nicht nur alle neun Sinfonien, auch alle fünf Klavierkonzerte. Ich war etwa 16, fast alle diese großen Werke Beethovens habe ich damals zum ersten Mal „live“ erlebt. Natürlich haben mich auch Bruckner, Dvorak, Mahler und viele andere überwältigt, aber Beethoven war der erste Komponist, den ich gewissermaßen in einer derart geballten Ladung präsentiert bekam.

Franz-Paul Deckers Abschiedsjahr in Bochum

Dass Beethoven in der Literatur eine der zentralen Figuren der europäischen Musikgeschichte war, das war mir schon vorher vertraut, aber dass er sich wirklich auch so anhörte, das ist mir damals im Konzertsaal in einer sehr umwerfenden und beeindruckenden Weise deutlich geworden.

Als Junge habe ich selbst Klavier gespielt, auch Beethoven ist mir relativ früh begegnet. Allerdings habe ich dabei auch die ärgerliche Erfahrung gemacht, dass – wenn man das auch nur annähernd so spielen will, wie es sich Beethoven vorgestellt haben mag – selbst die scheinbar einfachen Stücke eine enorme Herausforderung darstellen.

Beethoven ist ein Berg, aber es gibt ein Gebirge

Allerdings verführt mich auch ein Jubiläumsjahr wie dieses nicht dazu, einen großartigen Komponisten über alle anderen zu stellen. Würde man mich zum Beispiel vor die Alternative Bach oder Beethoven stellen, könnte und wollte ich weder auf den einen noch den anderen verzichten.

Der Eindruck, der 2020 entsteht, als sei Beethoven allein die Mitte der westlichen Musikgeschichte, empfinde ich als ein bisschen übertrieben. Er ist ein herausragender Berg in einem Gebirge, aber glücklicherweise steht er da nicht allein, wenn auch – wie alle bedeutenden Künstler – einzigartig.

Die Musik ohne Beethoven? Ein trübsinniger Gedanke

Viele Konzertbesucher lieben das Finale der Neunten oder die auftrumpfenden Eröffnungen der großen Sinfonien. Natürlich kann ich das nachvollziehen. Noch mehr aber überwältigt mich persönlich der in sich gekehrte Beethoven: Welcher andere Komponist hat so viele wundervolle langsame Sätze geschaffen? Grundsätzlich ist Musik für mich von einer elementaren Bedeutung. Ich kann mir, zugespitzt formuliert, ein Leben ohne Politik sehr viel eher vorstellen als ein Leben ohne Musik. Sich die Musik wiederum ohne Beethoven vorzustellen, das ist ein ziemlich trübsinniger Gedanke.

Aufzeichnung: Lars von der Gönna