Essen. Die Corona-Krise zwingt viele Menschen zur Untätigkeit. Warum uns das müßige Nichtstun so schwer fällt – und warum es trotzdem so wichtig ist.

Ruhe bewahren, dies ist stets das oberste Gebot im Angesicht der Gefahr. Es gilt auch jetzt: Ausgangssperren, Quarantäne, Kontaktverbote fahren unser Leben auf nie dagewesene Weise herunter. Doch während wir Läden und Restaurants, Schulen und Theater einfach so schließen können, macht unser Inneres den Shutdown nicht mal eben so mit. Ruhe bewahren? Lieber misten wir unsere Keller aus und überrennen hernach die Recyclinghöfe. Lieber drängeln wir uns im Baumarkt, um die freie Zeit sinnvoll mit Streichen, Werkeln, Verschönern zu verbringen.

Wie schlecht der moderne Mensch das Nichtstun aushält, zeigt eine Studie des amerikanischen Sozialpsychologen Timothy Wilson an der Universität von Virginia: Er nahm seinen Studenten die Handys ab und setzte sie einzeln in einen leeren Raum. Dort konnten sie (für Geld!) 15 Minuten lang gar nichts tun. Oder sich Stromstöße versetzen. Sie ahnen es, oder? Zu Wilsons Verblüffung wählten zwei Drittel der männlichen Probanden und immerhin noch ein Viertel der weiblichen die Option, sich lieber per Knopfdruck Elektroschocks zu verpassen, statt den eigenen Gedanken nachzuhängen.

„Die Zellen und Synapsen in unserem Gehirn stellen sich auf ein gewisses Reizniveau ebenso ein wie der Körper auf die tägliche Dosis Koffein“, schreibt Wissenschaftsjournalist Ulrich Schnabel in seinem Buch über die Kunst der Muße. Fehlt der Reiz des Beschäftigtseins, „reagieren wir wie Suchtkranke mit Entzugserscheinungen.“

Dabei scheint es so zu sein, dass unser Gehirn unsere äußere Untätigkeit dringend benötigt. Es ist etwas mehr als 20 Jahre her, dass der amerikanische Hirnforscher Marcus Raichle bei seinen Forschungen den Kernspintomografen etwas länger laufen ließ als üblich. Sein Proband hatte knifflige Aufgaben gelöst, jetzt entspannte er – in diesem Moment des Nichtstuns aber schnellten in bestimmten Hirnregionen die Aktivitäten nach oben.

Björn Kern: „Wer außer Übung ist, erfährt Nichtstun als Melancholie“

„Default network“ (etwa: „Leerlaufnetzwerk“) nannte Raichle diese Regionen später. Hier geht das Gehirn in Entspannungsphasen seinen eigenen neuronalen Geschäften nach, sortiert sich, räumt auf – und stellt neue Verbindungen zwischen Erfahrenem und Erlerntem her, an die wir im bewussten Zustand gar nicht „gedacht“ hätten. Hier liegt die Erklärung dafür, warum nicht wenige „Heureka!“-Momente der Wissenschaft unter der Dusche oder beim Kaffeekochen passierten.

Nichtstun aber will gelernt sein. Dies weiß Schriftsteller Björn Kern aus eigener Erfahrung: Gegen alle Vorurteile („Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“ etc.) hat er das Nichtstun zu seiner Hauptbeschäftigung gemacht: „Im Grunde ist Nichtstun nicht, was es behauptet, sondern ebenfalls eine Tätigkeit“ – und zwar eine, die Übung erfordert: „Wer außer Übung ist, erfährt Nichtstun als Melancholie“.

Vielleicht ist jetzt, in all dem Schrecken, all dem Chaos auf der Welt die Zeit für eine kleine innere Revolution: Kommen wir zur Ruhe! Entdecken wir das Tagträumen, Spazieren, Sinnieren. Entziehen wir uns dem inneren Befehl des Immerzu-Tätigseins, steigen wir aus der Höher-Schneller-Weiter-Spirale aus. Und wenn die Krise (hoffentlich) irgendwann vorbei ist, besinnen wir uns auf das, was uns in unserem Leben wichtig ist – und machen die Welt zu einem besseren Ort.

So ganz in aller Ruhe.