Dortmund. Der Vorhang ist zu, aber die großen Häuser der Region machen weiter. In Dortmunds Opernhaus gab es am Wochenende sogar ein „Geisterspiel“.

Das Opernhaus Dortmund hat in seiner Geschichte vielfach Dinge erlebt, die es mit dem BVB verbinden: frenetischen Jubel der Masse und wütende Abstimmungen mit den Füßen. Freitag aber, während die Bundesliga schon die Fußballerbeine stillhielt, erlebte das Musiktheater etwas nicht Gekanntes. Dortmunds Oper gab ihr erstes Geisterspiel.

„Ja, es war gespenstisch, beklemmend“, sagt Intendant Heribert Germeshausen. Jahre hatte er den Coup vorbereitet: hatte mit Peter Konwitschny einen Star-Regisseur engagiert, mit der „Stummen von Portici“ eine absolute Opernrarität auf dem Spielplan. Freitag wäre Premiere gewesen, nun aber waren sie unter sich, keine 50 Menschen. Was das war? „Ein Zeichen: Wir spielen weiter“, sagt Germeshausen.

An den Opernhäusern von Rhein und Ruhr heißt es „Weitersingen“

Sie machen weiter. Überall. Nur eben ohne die, für die Theater üblicherweise gemacht wird: Menschen im Parkett. Die Corona-Maßnahmen lassen keine Zuschauer mehr in die Oper. Kunst in der Warteschleife: Gesungen, geprobt, gespielt wird fast überall, verwaltet sowieso. Aktuell senkt sich der Altersschnitt drinnen ganz von allein: Wer keine Betreuung findet, darf in manche Musentempel seine Kinder mitbringen.

Ein paar Abstriche gibt es. In Gelsenkirchen etwa muss nicht nur der Bariton derzeit aufs eigene Butterbrot setzen; die Kantine ist schon dicht, es arbeitet nur noch die Kaffeemaschine.

Dortmunds Opernchef Germeshausen zwischen „Hoffnung“ und „existenzieller Krise“

Dass sie die Häuser in Betrieb halten, ist nicht allein die Erfüllung einer ganz gewöhnlichen Arbeit­geberpflicht. „Prinzip Hoffnung“, zitiert Heribert Germeshausen – und ging am Wochenende in eine Offensive, die man dieser Tage tollkühn finden kann. Denn vor allen anderen Häusern legt Dortmunds Oper einen Nach-Krisen-Spielplan vor. Ausgefallene Vorstellungen sind neu terminiert, das erste Weiße Rössl soll schon am 26. April wieder über die Bühne traben. Am 26.?

Opernbetrieb an Rhein und Ruhr kommt nicht ohne internationale Gäste aus

Wer weiß, wie Oper funktioniert, sieht in der Maßnahme anderes als kunstverliebte Blauäugigkeit. Anders als ein Lehrerkollegium, das von heute auf morgen wieder an die Arbeit gehen kann, arbeiten Musiktheater mit Gästen. Wer heute Rigoletto in Essen singt, ist übermorgen Onegin in Brüssel. Geschätzte drei Viertel der Inszenierungen an Rhein und Ruhr kommen nicht ohne international agierende Gäste aus. Das bedeutet: Wenn ein derzeit geschlossenes Opernhaus keinen Plan B hat, steht es bei Aufhebung des Spielverbots schlimmstenfalls ohne Aufführungen da.

So bekennt Germeshausen nicht nur, Optimist zu sein, er wäre gern auch der erste, der nach der Krise „Gästen ein funktionierendes Opernhaus“ bietet – und „Abonnenten nicht verärgern“ will. Wie sehr ihn die Lage bedrückt, verhehlt er nicht: Eine „so existenzielle Krise in einem Theater“ habe er noch nie erlebt. Nicht auszudenken, wenn sie in die nächste Spielzeit wandere. Auch ihr sind drei, vier Jahre Planung vorangegangen. Ein Domino-Effekt der tragischen Sorte: laufende Kosten, null Einnahmen.

Geisterspiele sind keine Lösung, die Oper braucht den Live-Besucher

Mögen die großen Theater auch aktuell im Spiel bleiben, es rechnet längst nicht jeder an Rhein und Ruhr mit einem guten Ende dieser Saison. „Ich halte es für ausgeschlossen, dass es in dieser Spielzeit nochmal zu einer Rückkehr zum normalen Betrieb kommt“, hören wir aus der Führungsetage eines anderen Hauses. Und nicht nur in einer Stadt hat der Kämmerer den Kunstschaffenden bereits zu verstehen gegeben, dass mit lokaler finanzieller Hilfe kaum zu rechnen sei.

Dieser Tage gehen an den meisten Bühnen von Düsseldorf bis Dortmund die Spielpläne 20/21 in Druck; niemand weiß, was daran belastbar ist, was in ein paar Wochen Altpapier. Die Nähe zum Fußball wird nicht allein in Dortmund den Takt vorgeben und Geisterspiele werden kaum eine Lösung sein, auch wenn am Sonntag Krefelds Theater seine „Rusalka“ auf Youtube versendete. Das Live-Erlebnis bleibt die Lebensader des Theaters. Intendant Germeshausen: „Ein Bild, das nicht angesehen wird, dem macht das nichts aus, aber die darstellende Kunst lebt davon.“

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WAS WIRD AUS RUHRFESTSPIELEN UND KLAVIERFESTIVAL?

Auch zwei bedeutende deutsche Festspiele in unserer Region können von den Corona-Maßnahmen bedroht sein. Zwar beteuert die Leitung der Ruhrfestspiele Recklinghausen derzeit, dass diese „wie geplant stattfinden“. Das traditionsreiche Volksfest am 1. Mai auf dem dortigen Grünen Hügel musste man aber schon absagen. Auch die Kartenstelle des ältesten deutschen Theaterfestivals ist seit heute geschlossen. Tickets für Recklinghausen gibt es jetzt nur noch telefonisch oder übers Internet.

Auch das weltweit größte Pianistentreffen naht. Schon am 21. April soll in Essens Philharmonie das Eröffnungskonzert des Klavierfestivals Ruhr stattfinden. Man hofft derzeit offenbar, den Spielplan halten zu können. „Im Moment gibt es keine Änderungen“, so Pressesprecher Werner Häußner am Sonntag auf Nachfrage unserer Zeitung.