Essen. Vor 60 Jahren schuf Günther Uecker seine ersten Nagel-Bilder, heute arbeitet er hoch über dem Düsseldorfer Medienhafen. Eine Würdigung zum 90.

Fast sechs Jahrzehnte ist es her, dass Günther Uecker seine ersten Nagel-Objekte, erste Nagel-Bilder geschaffen hat – und doch wird der Mann, der bei Otto Pankok an der Düsseldorfer Kunstakademie studierte, nachdem er die für ihn viel zu engstirnige DDR verlassen hatte, bis auf den heutigen Tag mit diesem Werkstück assoziiert, das er zu einem sinnlich-übersinnlichen Objekt kultivierte.

Nun hat er nicht wenig dazu beigetragen, hat in den späten 50ern und frühen 60er-Jahren manches Klavier in Essen oder Gelsenkirchen benagelt, hat in das Vordach der Dortmunder Kaufhof-Filiale einen Monster-Nagel in Raketengröße getrieben und später dann mit hunderten, ja tausenden von Nägeln wogende Felder geschaffen und Nagelkissen zwischen Horror und Poesie.

Günther Uecker: „Wo die Sprache versagt, beginnt das Bild“

Und doch: Günther Uecker, der am 13. März seinen 90. Geburtstag feiern könnte, wenn er es denn wollte, ist einer dieser Künstler, deren ausgeprägtes Markenzeichen verdeckt, dass sie sprühen vor Ideen, Konzepten, Bildern. Uecker ist ein begnadeter Aquarell-Maler, Uecker beschriftet meterweise Papierbahnen im Wandzeitungs-Stil, mitunter gar auf Arabisch, Hebräisch oder Chinesisch, auch wenn er gern zitiert wird mit dem klugen Satz: „Wo die Sprache versagt, beginnt das Bild“.

Der Mann ist nämlich, bei aller künstlerischen Hemdsärmeligkeit, ein hochgebildeter, tiefsinniger und zugleich feinnerviger Menschen- und Gesellschaftsbeobachter. Uecker ist ein Licht- und Kinetik-Künstler, er hat als Mitglied der Gruppe „Zero“ die Hunsrückenstraße vor der Düsseldorfer Galerie Schmela weiß gemalt, Uecker ist ein Klangkünstler, ein Theaterkünstler, der Stücke am Flughafen aufgeführt hat, und ein Aktionskünstler, der mit Gerhard Richter zusammen in der Kunsthalle Baden-Baden unter dem Motto „Museen können bewohnte Orte sein“ demonstriert hat, wie „Leben im Museum“ auch sein könnte.

Günther Uecker war der erste Künstler, dem man in Moskau noch vor der Wende 1988 eine 820-Werke-Retrospektive widmete, und überhaupt: In den letzten Jahrzehnten war Uecker oft ein Reisender – vielleicht, weil er seine Heimat, die Halbinsel Wustrow, auf der er als Sohn eines Landwirts aufwuchs (und arbeitete) schmerzhaft verloren hat und nicht aufhören kann, danach zu suchen. Er bereiste Afrika, Japan, Sibirien, China, Kambodscha, Lateinamerika, die USA, Island, Israel, Japan und den Iran, wo er bis vor kurzem noch seine „Huldigung an Hafez“ zeigte, bevor sie nach Rostock wandert, das gemeinsam mit dem Museum in Schwerin Günther Uecker mit Ausstellungen zum 90. gratuliert.

Er arbeitet in seinem Atelier hoch oben über dem Düsseldorfer Medienhafen

Der Mann, der seine hünenhafte Gestalt zeitlebens gern in eine Maler-Latzhose steckt, arbeitet bis auf den heutigen Tag, und zwar täglich in seinem Atelier hoch oben über dem geschäftigen Düsseldorfer Medienhafen. Auch am Wochenende zu arbeiten ist wie eine Reverenz an seine bäuerlichen Wurzeln, die nie querstanden zu künstlerischen Ambitionen: Als Jugendlicher war er stolz, mit der Egge schnurgerade Furchen ziehen zu können und hatte seine Freude an den Mustern der Felder. An Energie hat dieser Mann auch am Beginn seines zehnten Lebensjahrzehnts kaum etwas eingebüßt.