Bochum. In der Serie „Mein Beethoven“ beschreiben ganz unterschiedliche Menschen, was sie an Beethoven schätzen. Heute: der Dirigent Steven Sloane.

Wer weiß, ob es Zufälle gibt?! Beethoven ist ein Leitfaden meines Lebens. Als ich 1982 das Tel Aviv Jugendorchester gegründet habe, war meine allererste Probe Beethovens erste Sinfonie. Es war mein erster Auftritt als Dirigent überhaupt. Natürlich vergisst man das nie.

Zwei wichtige Momente meines Lebens mit Beethoven sind eng mit Bochums Symphonikern verbunden. Mein allererstes Konzert überhaupt mit dem Orchester war 1986, sechs Jahre bevor ich dort Generalmusikdirektor wurde, ein reines Beethoven-Programm in der Stadthalle Wattenscheid. Die Stücke weiß ich wie heute: Ouvertüre zu „Geschöpfe des Prometheus“, erstes Klavierkonzert und „Eroica“. Das war praktisch meine Visitenkarte. Und meine allererste „Neunte“ habe ich auch mit den Bosys dirigiert, das war in Köln. Ich war auf Tournee mit dem Philharmonischen Chor Tel Aviv, die Bochumer Symphoniker wurden als Orchester engagiert.

Anfänglich extremen Respekt vor Beethovens Werk

Ich war höchstens 30 und hatte extremen Respekt vor diesem Werk. Meinen guten Freund, den Dirigenten Noam Sheriff, habe ich damals gefragt: „Eine Neunte, soll ich das in meinem Alter überhaupt schon machen? Ich bin vielleicht zu jung.“ Ich hatte echt Skrupel. Aber Noam hat zu mir gesagt: „Steven, wenn Du als 50-Jähriger über Beethoven etwas zu sagen haben willst, dann ist es gut, dass du jetzt damit anfängst.“

Ich will nicht beurteilen, ob er Recht gehabt hat, aber dieses Werk als junger Mann zu dirigieren, war eine unglaubliche Erfahrung, die mich über all die Jahre begleitet hat. Ich habe seitdem viel Beethoven dirigiert. Ein zentraler Schlüssel zur Interpretation ist für mich die Anerkennung dieses Komponisten als Revolutionär. Welche Türen er aufgestoßen hat, welchen Umbruch er in der Musikgeschichte bedeutet, das darf man nie vergessen.

Zwischen Konflikt und Erlösung

Beethoven steht für Konflikt und Erlösung zugleich, die er dramatisch extrem intensiv darzustellen vermag. Er steht für immer neue Wagnisse und dafür, nie stehen zu bleiben im schöpferischen Prozess. Und vor dem dürfen die Interpretationen des Werks sich nicht scheuen. Man darf ihn sozusagen nicht rein als Klassiker sehen, sonder immer als Klassik-Revolutionär.

Das Meisterhafte daran ist ja, dass Beethovens Musik von einer unglaublichen Schönheit ist – aber sie erzählt eben auch in großer Dramatik vom Kampf um Freiheit und zeigt sie als ganz tiefes Bedürfnis der Menschheit. Wenn ich Beethoven interpretiere, versuche ich wirklich all diese Aspekte, die ja alle für Umbruch stehen, einzubringen.

Eine Tendenz zur „Eroica“

Auch nach so vielen Jahren: Mich persönlich hört Beethovens Musik nie auf zu berühren. Wie sublim ist der langsame Satz der Neunten! Das ist einfach aufwühlend, schön und von unglaublicher Tiefe. Die Frage, wenn ich nur eine einzige Partitur aus einem brennenden Haus retten dürfte? Bei Beethoven ist sie schrecklich unfair. Es gibt eine Tendenz zur „Eroica“, aber vielleicht würde ich checken, wie schlimm der Brand ist – um dann doch ein bisschen mehr für die Welt zu bewahren.
Aufzeichnung: Lars von der Gönna