Paris. Albert Camus’ „Pest“-Roman wird in Frankreich und Italien allmählich zum Bestseller. In Zeiten der Corona-Krise spendet die Literatur Trost.
Der vor 70 Jahren erschienene Seuchenroman „Die Pest“ des französischen Nobelpreisträgers Albert Camus ist das Buch der Stunde. „Es gibt nichts Schändlicheres als die Krankheit“, weiß Doktor Rieux in dem Roman, den der algerisch-stämmigen Albert Camus 1947 mit enormem Erfolg veröffentlichte. Er katapultierte seinen Autor geradewegs ans Firmament der französischen Großschriftsteller – und erlebt nun in Zeiten des Corona-Virus eine bemerkenswerte Renaissance. Sowohl in Frankreich als auch in Italien, wo es auf Platz drei der meistverkauften Bücher steht, findet es derzeit einen reißenden Absatz.
„Die Pest“ gehört links des Rheins zur Pflichtlektüre an den Schulen und ist der wohl der bekannteste Seuchenroman der Literaturgeschichte. Ort der Handlung ist die algerische Hafenstadt Oran, die vom „Schwarzen Tod“ heimgesucht und abgeriegelt wird. Der Außenwelt hilft das, doch unter den Eingeschlossenen setzt das große Sterben an.
Mut und Mitgefühl und Solidarität – auch nach Bataclan
Freilich schildert Camus in seinem Werk nicht allein die physische und moralische Zerstörung einer Gesellschaft durch die Seuche. Er propagiert auch die in seinen Augen neben der Medizin einzigen Mittel, um sich dem Schrecken entgegenzustemmen, nämlich Mut, Mitgefühl und Solidarität.
Wie bei Hemingways „Paris – ein Fest fürs Leben“
Ein Buch kann Hoffnung geben oder Trost spenden, das hat sich in unserem Nachbarland jüngst schon mehrfach gezeigt. Nach dem blutigen Attentat auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ im Januar 2015 führte dort wochenlang Voltaires berühmte Streitschrift gegen den Fanatismus, der „Traité sur la tolérance“ (Abhandlung über die Toleranz), die Liste der meistverkauften Bücher an. Ein Phänomen, welches sich nach den fürchterlichen Pariser Anschlägen auf die Konzerthalle Bataclan sowie auf fünf Café- oder Restaurantterrassen mit Hemingways Hymne auf die Seinemetrople „Paris – ein Fest fürs Leben“ wiederholte. Das beinahe vergessene, postum erschienene Werk des amerikanischen Literaturnobelpreisträgers wurde quasi über Nacht zu einem Symbol und stand wochenlang auf Platz 1 der Bestsellerliste,
1800 Exemplare pro Monat
In diesen Tagen ist es also „Die Pest“, welches die Ereignisse in den Mittelpunkt des Leserinteresses rückt. Wobei die Franzosen diesen Roman nicht entdecken, sondern einfach erneut in die Hände nehmen wollen. Gelesen haben sie ihn im Zweifelsfall schon zuvor und „Die Pest“ ist ein Buch, welches sich auch vor der Coronavirus-Epidemie gut verkaufte. 2019 etwa fand das Werk im Schnitt 400 Käufer pro Monat. Im Januar und Februar jedoch hat sich diese Zahl mehr als vervierfacht auf 1800 verkaufte Exemplare im Vier-Wochen-Rhythmus.
Gut zu wissen für interessierte deutsche Leser: Die Pest dürfte bei Camus für die Nationalsozialisten stehen. Jedenfalls wurde der Roman im Frankreich der Nachkriegszeit als politische Metapher verstanden: Auf der einen Seite die Nazi-Pest, auf der anderen die Eingeschlossenen, also die Franzosen. Nicht zu vergessen die Résistance, welche der unermüdlich gegen die Epidemie ankämpfende Doktor Rieux verkörpern soll. So oder so – aus der ewigen Bestsellerliste des 20. Jahrhundert ist dieses Ausnahmebuch kaum wegzudenken.