Essen. Joyce DiDonato ist ein Highlight einer Neu-Einspielung von Händels „Agrippina“ mit Starbesetzung: Franco Fagioli, Marie-Nicole Lemieux und andere.
An dieser schrecklichen Familie ist aber auch gar nichts nett. Georg Friedrich Händels frühe Oper „Agrippina“ kommt eher wie ein schillernder Aufmarsch von Antihelden daher. Ein Intrigantenstadel im antiken Rom, in dem in dieser neuen, durchaus mustergültig zu nennenden Einspielung Mezzosopranistin Joyce DiDonato in der Titelpartie sämtliche Strippen ihrer fast schon beängstigend perfekten Technik zieht. Jedes Legato, jede noch so wahnwitzige Koloratur strotzt bei ihr vor Expressivität. Dabei scheint die Power-Frau aus Amerika das nicht minder luxuriös besetzte sängerische Umfeld dieser Aufnahme einmal mehr zu eigenen Höchstleistungen anzutreiben.
Der junge Russe Maxim Emelyanychev am Pult und (wie einst Händel selbst) am Cembalo lässt niemals locker. Mit dem Spezialensemble „Il Pomo d’oro“ treibt er ebenso den Hintersinn wie die glänzende Oberfläche der Partitur so temporeich und zuweilen fast waghalsig auf die Spitze, dass Zuhören zum Opernkrimi wird.
Franco Fagioli als lüsterner Nero
Kriminell sind Agrippinas Machenschaften nicht nur aus heutiger Sicht. Um ihren Sohn – herrlich überkandidelt und stets hochvirtuos: der Counter Franco Fagioli als lüsterner Nero – an die Macht zu bringen, gelten ihr Heuchelei, Lüge oder Mordkomplotte als legitime Mittel. Zu dumm nur, dass die Todesnachricht von ihrem vierten Mann, Kaiser Claudius, sich als Falschmeldung herausstellt. Damit setzt das Libretto ein, das Vincenzo Grimani verfasste. Immerhin ein Kardinal, der in Venedig sogar ein Theater besaß.
Wechselnde Pärchenbildung, je nach Gefühlslage und Opportunität, prägen die trotz Happy End böse Geschichte. Die Starbesetzung, bis hin zur kleinen Partie der Göttin Juno mit Marie-Nicole Lemieux, liefert eine prachtvolle vokale Farbpalette für dieses barocke Panorama von Macht und Besessenheit, bei dem selbst Liebe zur Verhandlungsmasse gehört.
Exaltierte Charaktere auf der CD „Agrippina“ von Händel
Jakub Józef Orliński, als Ottone der zweite Counterstar dieser Aufnahme, betört mit weicher wie von innen glühender Intensität seines „Instrumentes“. Luca Pisaroni als Claudius mit geschmeidigem Bariton und Elsa Benoît als klar fokussierte, noch unverdorben wirkende Poppea runden dieses Spektrum exaltierter Charaktere finessenreich ab. Eine Einspielung zwischen Erotik und Wahn, aber immer voller Kraft.
Georg Friedrich Händel: Agrippina. Gesamtaufnahme bei Erato. Drei CDs, umfangreiches Booklet, ca 30€