Essen. Doppelte Leinwandlegende: In „La Vérité“ korrespondiert die Geschichte um einen Filmstar mit dessen großer Darstellerin Catherine Deneuve.

Lumir kann ihren Zorn kaum bändigen. „La Vérité“, der Titel der gerade veröffentlichten Autobiographie ihrer Mutter Fabienne Dangeville, und sie verspricht die Wahrheit. Doch für die Tochter sind all die Geschichten, die der berühmte Filmstar erzählt, nichts als Lügen.

So wie sich Fabienne vor der Kamera stets ins beste Licht setzt, so inszeniert sie sich auch in ihren Erinnerungen. Als Lumir sie mit den Unwahrheiten konfrontieren will, reagiert die Diva mit Herablassung. In ihren Augen hat ihre Tochter nie verstanden, worum es im Leben wirklich geht. Denn für Fabienne ist alles Spiel und Kino, auch die Realität.

Catherine Deneuve und Juliette Binoche sorgen in „La Vérité“ für großes Kino

Auf den ersten Blick scheint sich der japanische Filmemacher Kore-eda Hirokazu bei seinem ersten nicht in seiner Heimat gedrehten Film ein wenig verloren zu haben. Denn „La Vérité“, morgen in unsere Kinos kommt, ist nicht nur aufgrund seiner beiden Hauptdarstellerinnen, Catherine Deneuve und Juliette Binoche, ein durch und durch französischer Film. Schließlich wird hier ständig geredet und gestritten, gegessen und Wein getrunken. Fast könnte man glauben, dass Kore-eda den vorherrschenden Klischees über das französische Kino zu viel Glauben geschenkt hat und ihnen dabei erlegen ist.

Kore-eda Hirokazus Film „La Vérité“ legiert japanisches und französisches Kino

Doch der erste Eindruck täuscht. Kore-eda Hirokazu, der zu Recht als Erbe der großen japanischen Regisseure Ozu Yasujirō und Naruse Mikio, dieser Meister des Alltagsmelodrams, gefeiert wird, ist sich mit dieser Geschichte einer zerfallenden Familie absolut treu geblieben. Wie in seinen früheren Arbeiten scheint er seine Regie-Arbeit auch diesmal praktisch unsichtbar zu machen. Eric Gautiers elegante, aber niemals um Aufmerksamkeit buhlende Bildkompositionen stellen sich ganz in den Dienst der Erzählung und der Schauspielerinnen.

So kann Catherine Deneuve noch einmal ihre mittlerweile legendäre Star-Aura zelebrieren und dem Publikum zugleich einen seltenen Einblick in das Handwerk einer Leinwandlegende gewähren. In ihrem Spiel vermischen sich Lüge und Wahrheit auf schillernde Weise. Fabienne ist eine Meisterin des Schau-Spiels, die jede Emotion auf ihre Wirksamkeit hin überprüft und dann so ausspielt, dass sie den größtmöglichen Effekt erzielt. Das Leben der Diva wird selbst zum Kunstwerk, in dessen Schatten alle anderen zu verschwinden drohen.

Diva gegen Natürlichkeit: eine spannende Begegnung

Während Catherine Deneuve im Artifiziellen schwelgt, setzt Juliette Binoche ganz auf das Natürliche. In jedem anderen Film würde ihr zurückhaltendes, um Authentizität bemühtes Spiel Gefahr laufen, zu verblassen. Aber Kore-eda und sein Kameramann Gautier schaffen ihr die Räume, die sie auf eine ganz andere Weise als Catherine Deneuve erstrahlen lassen.

Die beiden Stars ergänzen sich nicht nur perfekt. Durch ihre gegensätzlichen Schauspielstile akzentuieren sie jeweils das Spiel der anderen. „La Vérité“ entwickelt so eine subtile Dichte, die dem klassischen japanischen Kino näher ist als den französischen Filmen, denen er dem Anschein nach so sehr ähnelt.