Essen. Die Liebe trotzt allem: Hans Falladas Erfolgsroman „Kleiner Mann – was nun?“ ist am Essener Grillo-Theater eine Hymne auf das ganz große Gefühl.
Einmal im Leben geht es für die Pinnebergs zumindest steil nach oben. Die schmale Leiter, auf der das Paar zu seiner winzigen Dachwohnung hochklettern muss, ist zwar ein Himmelfahrtskommando. Aber sie führt für die beiden ins Himmelreich – in die eigenen vier Wände! Wie klein das Glück und wie groß die Angst vor dem Abstieg sein kann, hat Hans Fallada in seinem Erfolgsroman „Kleiner Mann - was nun?“ so lebensecht und voller Empathie beschrieben, dass man sie auch heute noch gerne erzählt bekommt. Unerschütterliche Liebe in Zeiten der wirtschaftlichen Krise – das ist nicht nur im Berlin der 1930er Jahre ein trostreiches Versprechen!
Die Bühnenfassung von Regisseur Thomas Ladwig und Dramaturgin Vera Ring setzt denn auch ganz aufs unbeirrbare Gefühl, ohne kitschig zu sein, und hat mit Silvia Weiskopf als Lämmchen und Stefan Migge als Pinneberg zwei wunderbar-warmherzige Hauptdarsteller. Doch lässt der berührende Abend auch Chancen liegen, den Stoff für das Gegenwartspublikum noch dringlicher zu machen.
Regisseur Thomas Ladwig und Dramaturgin Vera Ring setzen ganz auf Gefühle
Ladwig konzentriert sich auf die Ehegeschichte der tapferen Pinnebergs, die schon rechnen müssen, bevor sie überhaupt die Ringe tauschen. Als dann auch noch der kleine Murkel auf die Welt kommt, ist die Liebe der einzige Haltegriff im wirtschaftlichen Abwärtsstrudel. „Nur nicht arbeitslos werden“, lautet das Mantra, mit dem sich Pinneberg für jedes Katzbuckeln vor dem Chef rechtfertigt. Stefan Migge ist ein hingebungsvoller kleiner Mann mit großem Herz und treuen Augen, der sich schämt und doch immer weiter schuftet. Silvia Weiskopf seine ebenso zarte wie entschiedene Ehefrau, die das Geld zusammenhält und im verzweifelten Moment noch weiß, was der „Junge“ braucht. Arm, aber ehrlich.
So gehen die Pinnebergs durch ihre kleine Welt, die auf Ulrich Leitners vielfältig genutzter Bühne mal eine Kellerabsteige, mal die Herrenabteilung im Kaufhaus Mandel oder die elende Mietskaserne ist. Die Szenerie bleibt abstrakt und doch ganz in ihrer Schiebermützen-Zeit. Mutter Pinneberg (groß im Divengestus: Ines Krug) mit der mondänen Fuchsstola (Kostüme: Anita Noormann), ihr aufgekratzter Liebhaber Jachmann (polternd jovial: Jan Pröhl) mit seinen heruntergelassenen Hosen und der der Nacktkultur frönende Verkäufer-Kollege Heilbutt (flamboyant: Stefan Diekmann) setzen die Kontraste im bescheidenen Pinneberg-Kosmos.
Der aufziehende Nationalsozialismus und die Wirtschaftskrise bleiben nebensächlich
So wie sich die kleine Familie in ihren beengten Verhältnissen einrichtet, bleibt aber auch die Inszenierung enggeführt auf eine Liebesgeschichte in schwierigen Zeiten. Der aufziehende Nationalsozialismus, Wirtschaftskrise und die Verlockungen der großen Stadt bleiben eher nebensächlich. Ladwig will keine vordergründige Aktualisierung, zeigt die Arbeitswelt mit ihrem Rationalisierungsdruck und unerfüllbare Verkaufsquoten als zeitlose Bedrohung. Doch selbst wo es bei Fallada mal schmerzhaft und deftig wird, bleibt die Regie fast diskret.
Nach der Pause lässt die Spannung denn auch nach: Entlassungs-Verhöre (präsent und vielseitig: Lene Dax als Marie) geraten etwas gedehnt. Das dauernde Stiegensteigen ermüdet nicht nur auf der Bühne. Pinneberg gerät immer mehr zum gedemütigten Außenseiter, während Lämmchens Glaube an die rettende Kraft der Liebe unzerstörbar ist. Zumindest auf den letzten Metern meldet Ladwig daran aber noch Zweifel an. Pinnebergs letzter unentschiedener Blick steht ein wenig symptomatisch für den Abend. Langer, herzlicher Premierenapplaus.
Tickets und Termine: 0201-8122-200 und www.theater-essen.de