Berlin. Samstagabend werden bei der Berlinale die Bären verliehen. „Berlin Alexanderplatz“, Nina Hoss, Lars Eidinger und Franz Rogowski sind favorisiert.

Stell dir vor es ist Krieg, und alles nur wegen einer Fälschung der Geheimdienste. Diese Geschichte, und es handelt sich um eine wahre Story, erzählt Regietalent Johannes Naber in seiner grandiosen Politsatire „Curveball“. Der BND erhofft sich anno 1999 von einem Asylbewerber die Beweise für biologische Waffen im Irak. Der Gewährsmann gibt sich in Plauderlaune, schließlich spekuliert er auf einen deutschen Pass für seine Informationen.

Wie die Lüge in die Uno kam

Als der Schwindel auffliegt, ist es zu spät. Der deutsche Geheimdienst hat den vermeintlichen Coup längst an die CIA weitergegeben. Eine Korrektur entfällt aus Sorge um den Ruhm. Nach dem Terroranschlag vom 11. September kommt den USA der vermeintliche Beweis sehr gelegen. Außenminister Colin Powell präsentiert vor der Uno die Fälschung als Grund für einen Angriff auf den Irak – und Joschka Fischer schweigt dazu. Der wackere BND-Agent Wolf will tatsächlich nichts als die Wahrheit, doch er gerät schnell unter die Räder von Machtinteressen und Intrigen.

Wie schon in der Kapitalismussatire „Die Zeit der Kandidaten“ zeigt Regisseur Naber ein Gespür für Situationskomik und Dialoge. Sein abermaliger Hauptdarsteller Sebastian Blomberg gibt den besorgten Biowaffenexperten mit Vergnügen. Bei allem Spaß geht der Ernst des Themas nie verloren. „Der damalige Kanzleramtschef ist heute Bundespräsident“, meldet der Nachspann. Vollkommen unverständlich, weshalb dieses Meisterwerk in die Nebenreihe „Gala Spezial“ und nicht im Wettbewerb starten durfte.

Biberkopf ist ein Afrika-Flüchtling

Dort machte ein anderer deutscher Film Furore: „Berlin Alexanderplatz“, eine aktualisierte Verfilmung des Klassikers von Alfred Döblin. Vor 90 Jahren brachte Heinrich George den Stoff auf die Leinwand, vor 40 Jahren strickte Rainer Werner Fassbinder mit Günter Lamprecht eine achtstündige TV-Serie daraus. Stolze drei Stunden Zeit lässt sich nun Burhan Qurbani, 39, Zeit für seine moderne Version.

Aus Franz Biberkopf wird Francis (Welket Bungué), ein Flüchtling aus Westafrika. Er möchte ein guter Mensch sein. Doch die Verhältnisse, die sind nicht so. An seiner Seite Escort-Girl Mieze (Jella Haase), das Sinnbild rigoroser Liebe. Sowie als fieser Verführer der mephistophelische Freund Reinhold (teuflisch gut: Albrecht Schuch). Jeder Versuch einer guten Tat von Francis wird vom Schicksal mit einer Spirale nach unten quittiert. Am Ende ist er zwar der Dealer-König im Drogenpark, doch nicht nur seinen Arm hat er verloren – auch seine Seele ist verkauft.

Eine Zumutung, die sich lohnt – dank Carlo Chatrion

Mit voller Kinowucht und visuellem Einfallsreichtum erzählt Qurbani sein Drama über Schuld und Sühne. Drei Stunden lässt er sich dafür Zeit – eine Zumutung, die sich lohnt. Wenn es auf Festivals, anders als im Film, gerecht zuginge, hieße es am Samstag bei der Preisverleihung ganz klar Goldener „Bär-lin Alexanderplatz“. So stark war deutsches Kino lange nicht mehr. US-Regisseurin Kelly Reichardt lieferte mit ihrem ungewöhnlichen Western „First Cow“ einen der interessanteren Filme im Wettbewerb.

Und nach stotterndem Anfang fand das Festival doch zur nötigen Betriebstemperatur. Im Ganzen kein schlechter Einstand für Carlo Chatrion, den neuen Berlinale-Boss. Und ein exzellenter Jahrgang für den deutschen Film.