Düsseldorf. Angela Merkel, Jack Nicholson und Adele überlebensgroß: Promi-Fotograf Martin Schoeller zeigt im Düsseldorfer NRW-Forum mehr Bilder als je zuvor.

Es sind lauter extreme, berühmte, bunte, ja schrille Gesichter, die Martin Schoeller in den letzten 22 Jahren fotografiert hat, Und wer jetzt 170 davon sieht im Düsseldorfer NRW-Forum, käme nicht im Traum darauf, dass all dieses Serien ausgelöst wurden von den strengen, himmellos schwarzweißgrauen Industriegiganten-Fotos von Bernd und Hilla Becher, die nur zwei Straßen weiter an der Akademie eine Schule der lakonisch-nüchternen Welt-Ablichtung begründet haben.

Barack Obama, Meryl Streep und Taylor Swift, Jack Nicholson, Adele und Lindenberg

Damit gemeinsam haben Martin Schoellers Menschenbilder seiner „Close Up“-Serie eigentlich nur den einfarbigen, ja farblosen Hintergrund. Ja, der 1968 geborene Literaturkritikersohn Schoeller lässt uns diesen überlebensgroßen, 1,20 Meter hohen Gesichtern von Barack Obama, Meryl Streep und Taylor Swift, von Jack Nicholson, Adele oder Udo Lindenberg näher kommen als wir es im echten Leben für statthaft halten oder gar wagen würden. Aber kommen wir den Menschen dahinter näher?

Harry Belafonte, Katy Perry, Julia Roberts und Angela Merkel

Alle Porträtierten sind extrem gut ausgeleuchtet (Schoeller arbeitet mit einem Dutzend Lampen und mehr); und fast alle haben die markanten „Katzenaugen“ mit weißen Streifen auf der Iris, rechts und links der Pupille. Aber selbstverständlich können wir nur ahnen, was in Harry Belafonte, Katy Perry oder Angela Merkel in diesem Augenblick vor sich geht. Sieht man nicht in sie hinein, was man von ihnen weiß? Und ist das, was man herausliest aus diesen Momentaufnahmen, wirklich wahr?

Die Bundeskanzlerin, für die Martin Schoeller allerdings auch nur fünf Minuten Zeit hatte wie so oft am Anfang seiner Karriere, war mit dem Bild jedenfalls unzufrieden, hat sie dem Fotografen im Januar gestanden, als sie aus Gründen der Staatsräson auf der Essener Kokerei Zollverein Schoellers Ausstellung mit Porträts von 75 Holocaust-Überlebenden eröffnete.

Assistent bei Annie Leibovitz und ein erster Auftrag mit Vanessa Redgrave

Angefangen hat alles, als Schoeller, der eine Weile Assistent der New Yorker Kult-Fotografin Annie Leibovitz war, von einer Zeitschrift den Auftrag bekam, die Schauspielerin Vanessa Redgrave zu fotografieren. „In dem Jahr“, erinnert sich Martin Schoeller, „hatte ich vielleicht drei Hochzeiten fotografiert – und im Jahr drauf dann schon 127 Foto-Jobs!“

Es lief bei Schoeller. Und jedesmal, wenn er von Zeitschriften oder dem „New Yorker“, bei dem er 13 Jahre fest angestellt war, zu Bono von U2, zu Denzel Washington oder Rihanna geschickt wurde, machte er am Ende noch eine Aufnahme für seine „Close Up“-Serie.

Im Gegensatz zu August Sander – und dann doch im Sinn von Bernd und Hilla Becher

„Ich wollte jeden gleich aufnehmen“, sagt Martin Schoeller, der am Donnerstag im Düsseldorfer NRW-Forum die größte, umfassendste Schoeller-Ausstellung bislang auf deutschem Boden vorstellte: „Meine Fotografie sollte eine demokratische Plattform sein.“

Ein Gegenentwurf also zu den typologisch aufgenommenen, nach Ständen und Berufen eingeteilten „Menschen des 20. Jahrhunderts“ von August Sander. Aber eben doch viel näher an der Idee von Bernd und Hilla Becher, in der Herstellung gleicher Aufnahmebedingungen die Unterschiede umso sichtbarer zu machen. Wobei es am Ende wohl doch etwas anderes ist, ob es um Industrieanlagen oder das menschliche Antlitz geht. „Diese Reihen, dieses Katalogisieren – das ist wahrscheinlich das deutsche Erbe in mir“, sagt der Wahl-New Yorker Schoeller nur halb im Scherz.

Bodybuilderinnen und Obdachlose von Hollywood, Drillinge und Amazonas-Indianer

Auch in seinen andere Serien interessiert sich Schoeller für das Besondere, das Extreme im und am Menschen. Er hat die grotesk wirkenden Oberkörper US-amerikanische Bodybuilderinnen im Glanz seiner Scheinwerfer und ihres Stolzes aufgenommen, hat in seiner „Hollywood“-Serie Obdachlose der Filmstadt porträtiert, wo Freunde von ihm seit 30 Jahren eine Armenspeisung betreiben. Er hat Freigesprochenen aus dem Todestrakt ein Gesicht gegeben, in dem sich zehn oder mehr Jahre Haft für einen unschuldigen Menschen spiegeln, er hat eine Reihe von extravaganten Drag Queens in Szene gesetzt und Frauen der brasilianischen Kayapo-Ureinwohner im Amazonasgebiet, deren vielfältige Gesichtsbemalung aus nur zwei Farben er bis heute bewundert. Und er hat eineiige Zwillinge, Drillinge und Vierlinge („das kommt unter 70 Millionen Geburten nur einmal vor“) nicht nebeneinander, sondern getrennt, als Individuen fotografiert – und nirgends sonst wirkt das Prinzip, die Unterschiede auf der Folie des Ähnlichen, ja Gleichen umso sichtbarer zu machen, so überzeugend wie hier.

„Martin Schoeller“. NRW-Forum, Ehrenhof 2, 40479 Düsseldorf. Bis 17. Mai. Geöffnet: Di-Do 11-18 Uhr, Fr bis 21 Uhr, Sa 10-21 Uhr, So 10-18 Uhr. Eintritt: Di-Do 4 €, Fr-So 6 €, Kinder u. Jgdl. 1 €. Katalog: 28 €. Führungen (18 Uhr, kostenlos): 28. Februar, 27. März, 24. April. Bis zum 26. April sind in Essen auf der Kokerei Zollverein Martin Schoellers Bilder von Holocaust-Überlebenden zu sehen.