Ein Baggersee, ein Schriftsteller, eine junge Umwelt-Aktivistin: John von Düffel stellt seinen Roman „Der brennende See“ auch in der Region vor.

Ein letztes Mal kehrt Hannah heim in die vertraute leere Landschaft: „Was sie früher als endlose Ödnis empfunden hatte, erschien ihr jetzt wie eine Wahrheit, die sie verstand.“ Nur einen Rucksack trägt sie bei sich, das Reisen mit leichtem Gepäck ist eine Angewohnheit, die sie von ihrem Vater übernommen hat. Doch nach dessen Tod muss Hannah feststellen, dass sie ihm womöglich weniger nahe stand als gedacht – und die vermeintlich verstandenen Wahrheiten Trugbilder waren.

„Der brennende See“, so hat John von Düffel (54) seinen jüngsten Roman genannt. Der See ist ganz konkret ein Baggersee zwischen Kieswerk und geplanter Seniorenresidenz, um den sich Hoffnungen und Sehnsüchte und Umweltproteste ranken, der Brand betrifft im Roman nur ein Auto auf dem Acker – darüber hinaus verweist ein dem Roman vorangestelltes Medienzitat auf den See von Bangalore, der so verschmutzt ist, „dass die Chemikalien und Abfälle darin immer wieder Feuer fangen“.

Der alternde Schriftsteller und die jugendliche Fridays-for-Future-Aktivistin

Auch der Baggersee, in dem Hannahs halbberühmter Schriftsteller-Vater täglich schwamm, soll zur Mülldeponie umgewandelt werden. Dies würde bedeuten, dass die Familie von Hannahs alter Schulfreundin Vivien ihre Pläne, am Ufer eine Seniorenresidenz zu eröffnen, begraben kann. Viviens Tochter Julia, militante Fridays-for-Future-Aktivistin, hat gemeinsam mit Hannahs Vater gegen die Deponie-Pläne gekämpft; schließlich hat er sein Erbe (also: Hannahs Erbe) einer umweltorientierten Stiftung vermacht.

Diese Zusammenhänge erschließen sich Hannah und den Lesern plätschernd langsam, die Handlung mäandert von einem Alkoholexzess Hannahs in der allzu leeren Wohnung ihres Vaters (auch sein Minimalismus hat sich im Alter radikalisiert) zu einem Treffen mit dem Anwalt der Familie und einem Besuch Hannahs bei der Familie ihrer Freundin Vivien. Über all dem schwebt die Frage, wer die junge Frau ist, deren Foto Hannahs Vater im Nachttisch verwahrte – und wer er selbst eigentlich war. Sein letztes Werk galt den Wolken und ihrer Vergänglichkeit, Hannah aber neigt eher zur Sichtweise ihrer Freundin Vivien, für die Wolken „auch nur Wasserdampf“ sind.

Die Protagonistin begegnet kleinstädtischen Wünschen, Sorgen, Ausbruchsversuchen

John von Düffels Prosa ist poetisch und dicht, er bringt vor einem Kleinstadtpanorama die großen Generationenkonflikte auf, verbindet die Wut der Jungen mit der Radikalität der Alten – und dazwischen dümpelt Hannah, der alles irgendwie egal ist, auch das eigene Leben. Über dieses Dümpeln hätte man gerne vertieft gelesen, doch bei seiner Protagonistin bleibt der Autor seltsamerweise an der Oberfläche: Und so spiegeln sich zwar die kleinstädtischen Wünsche, Sorgen, Ausbruchsversuche in ihren vielfältigen Begegnungen, Hannah selbst aber bleibt verschwommen, wolkenflüchtig.

Umso berührender gelingt John von Düffel das Nachempfinden eines Verlustes, der zugleich ein Sich-Selbst-Verlieren mit sich bringt: „Der Tod war eine letzte große Besitzergreifung. In ihm kulminierte die gesamte Macht eines Menschen über das Leben der anderen.“

John von Düffel: Der brennende See. Dumont, 320 S., 22 €. Lesungen: 4.3., 20 h, Zentralbibliothek Düsseldorf. 9.3., 19.30 h, Stadtbibliothek Hattingen.