Waltrop. Der Fotograf Josef Koudelka hat mit seiner Panorama-Kamera industrielle Abbaugebiete von USA bis Aserbaidschan bereist – zwiespältige Eindrücke.
Industrie, die technisch rationalisierte Produktionsform, hat ihre Landschaften. Das sind etwa solche gigantischen Kühlturm-Silhouetten wie die des Kraftwerks Datteln IV, die den Blick ins Land im Umkreis von 30 Kilometern wie ein Matterhorn dominieren. Wenig mehr als einen Steinwurf vom umstrittenen Mega-Kraftwerk entfernt, im Schiffshebewerk Henrichenburg, wird derzeit offenbar, wie die industrielle Gewinnung von Bodenschätzen noch ganz andere Landschaften umpflügt, planiert, knetet und formt. Fotoabzüge im riesigen Format von 2,64 Metern Breite bei 91,5 Zentimetern Höhe gewähren unerhörte, ungewohnte, ungeheure Einblicke in Abbaugebiete von Nordfrankreich, Belgien und Nordrhein-Westfalen bis nach Tschechien, in die Slowakei, die USA und Aserbeidschan.
Schwarzweißbilder von unendlicher Melancholie und Trostlosigkeit, Mondlandschaften und Wüsteneien von Menschenhand, die in der Regel aus gigantischen Baggern, Transportbändern und Lastern besteht. Und doch: Diese Umgestaltung von Natur- und Kultur-Landschaften ist ja nicht nur gewalttätig, sondern auch gewaltig, sie löst tiefen Respekt vor den Dimensionen aus, in denen menschliches Erfindungs- und Organisationsvermögen die Welt verändern können. Man könnte glatt auf die Idee kommen, dass selbst Teufelswerk wie die Verödung und Vergiftung ganzer Gegenden ihre schönen Seiten hat, wenn man sie sehen will. Oder gar heitere wie ein Ballett der ausrangierten Verkehrsschilder.
Robert-Capa-Preis für den „Prager Frühling“
Drei Jahrzehnte lang hat der Fotograf Josef Koudelka mit seiner Panorama-Kamera Landpartien in den unwirtlichen Breiten der Industriegesellschaft unternommen, um diese Aufnahmen machen zu können. Koudelka, Jahrgang 1938, war Luftfahrtingenieur in der CSSR und Hobbyfotograf fürs Theater, als er 1967 beschloss, nur mehr mit der Kamera zu arbeiten, um ein Jahr später heimlich den „Prager Frühling“ zu dokumentieren – der Robert-Capa-Preis dafür wurde anonym verliehen; Koudelka, der 1970 in den Westen floh und ein Jahr später bei der Edel-Agentur Magnum anheuerte, machte seine Urheberschaft an den Fotos erst bekannt, nachdem sein in der CSSR gebliebener Vater gestorben war.
Koudelkas Abneigung und Faszination
Koudelka findet die Naturzerstörung durch industrielle Gewinnung von Bodenschätzen „schrecklich“ – ist aber fasziniert von den Landschaften, die sie hinterlässt. Diese Faszination spricht auch aus seinen Bildern: Der monumental durchfurchte Bergrücken irgendwo in Deutschland, den ein himmelhoher Gigant mit einer XXL-Harke durchzogen zu haben scheint, das Gewirr der Strebengerüste in Baku, das sich im Spiegel eines trüben Tümpels noch verdoppelt – all das sind Strukturen und Linien, die im grobkörnigen Schwarzweiß zu einer gottfernen Ordnung werden und manchmal wie Gemälde wirken. Da sind dann die Güterwaggons für das verflüssigte Alteisen in Nordfrankreich genauso verbeult wie der Schrottberg daneben, der auf seine Wiederverwertung wartet.
Zu all diese Landschaften gesellt sich auch noch eine bedrückend betonhaltige Aufnahme der Mauer zwischen Israel und Palästina, links das Hinweisschild „Rachels Grab“, rechts nach „Jerusalem“. Josef Koudelka ist eben ein politischer Fotograf geblieben.
„Industries“. Fotografien von Jan Koudelka. LWL-Industriemuseum Schiffshebewerk Henrichenburg, Am Hebewerk 26, 45731 Waltrop. Bis 28. Juni. Geöffnet: Di-So 10-18 Uhr. Eintritt: 6 Euro, erm. 3 Euro. Unter 18 Eintritt frei. Katalog: 55 Euro.