Essen/Bochum. Vor 100 Jahren wurde die Ruhrgebiets-Schriftstellerin Liselotte Rauner geboren. Sie wurde spät zur Schriftstellerin – und ergriff deutlich Partei.

1967, da war die heute vor 100 Jahren in der Saalestadt Bernburg geborene Liselotte Rauner fast zwei Jahrzehnte im Ruhrgebiet ansässig, begann sie mit der antiautoritären Revolte als Autorin an die Öffentlichkeit zu treten, nahm teil an der Literarischen Werkstatt Gelsenkirchen, gründete den „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“ mit, hatte ihre erste Lesung im Jugendheim der Matthäus-Kirche in Gelsenkirchen-Erle und veröffentlichte 1970 ihren ersten Gedichtband mit dem programmatisch-kämpferischen Titel „Der Wechsel ist fällig“.

Nächtliche Hausbesuche der SA, Verhaftungen im elterlichen Freundeskreis, Gewalt auf offener Straße hatte sie in der Jugend erlebt, daheim hingegen Erziehung zu Nächstenliebe und Widerstand. Unter der Spannung dieser Gegensätze hatte sie erste Gedichte ins Tagebuch geschrieben. Nach einer kaufmännischen Lehre ließ sie sich in Schauspiel und Gesang ausbilden, hatte ein erstes Engagement am Landestheater Bernburg.

„Walter und Liselotte Rauner-Stiftung“ und Literaturpreis Ruhr

In der Nachkriegszeit nach Wattenscheid gezogen, schrieb Liselotte Rauner Kurzprosa, Lyrik, Aphorismen und Chansons, die von Liedermachern und Protestsängern vertont wurden. Sie begleitete den Strukturwandel kritisch, demaskierte Phrasen, mit denen Ungerechtigkeit und Ausbeutung kaschiert werden sollten. Die Arbeiterdichterin, als die sie sich gerne sah, hatte aber auch ein Ohr für Zwischentöne, hatte den Mut zum Gefühl und besang das Restglück in der beschädigten Natur. Seit 1985 gehörte sie dem Internationalen Pen-Club an, ein Jahr später bekam sie als erste Autorin den neuen „Literaturpreis Ruhrgebiet“ zugesprochen.

Ihr letzter Gedichtband „Alles in Bewegung“ erschien 1990; als zwei Jahre später ihr Mann Walter starb, der als ihre „rechte Hand“ viel organisiert hatte, zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück: „Das Glück ein letzter Schimmer / von fern/ und ich umkreise noch immer / meinen längst erloschenen Stern.“ Mit dem gemeinsam gesparten Geld gründete sie 1998 die „Walter und Liselotte Rauner-Stiftung“ zur Förderung neuer Lyrik, die gerade wieder einen Gedicht-Wettbewerb ausgeschrieben hat. Am besten kennenlernen lässt sich die Dichterin mit dem von Volker W. Degener herausgegebenen „Lesebuch“ in Nylands Kleine Westfälische Bibliothek des Aisthesis Verlags.