Düsseldorf. Das Museum Kunstpalast zeigt rund 200 Werke aus dem 3000 Abzüge umfassenden Konvolut, das die Stadt der Berliner Foto-Galerie Kicken abkaufte.
So etwas nennt man wohl nachholende Begeisterung: Vor anderthalb Jahren beschloss der Rat der Stadt Düsseldorf, für deren Museum Kunstpalast die Sammlung der renommierten Berliner Foto-Galerie Kicken anzukaufen, über 3000 Abzüge aus rund 150 Jahren Foto-Geschichte – für rund acht Millionen Euro. Es war nicht die private Sammlung von Annette und Rudolf Kicken – die war 2013 ans Frankfurter Städel-Museum gegangen, wo damals der heutige Kunstpalast-Chef Felix Krämer die Abteilung der Moderne leitete. Es war der mehr oder minder marktgängige Bestand ihrer damit aufgelösten Galerie, mit der Rudolf Kicken seit 1974 erst im Rheinland und dann in Berlin Pionierarbeit bei der Anerkennung der Fotografie als eigenständige Kunstform geleistet hatte.
Wenders- und Gursky-Ausstellungen
Der Düsseldorfer Ankauf der Kicken-Sammlung ist der Versuch, ein Stück Foto-Geschichte in die Stadt zu holen, die erst dann auf die Idee kam, sich selbst als Foto-Stadt zu vermarkten, nachdem die Absolventen der berühmten Becher-Schule längst ins Lehrer-Alter gekommen waren und ihre Ausbilder schon nicht mehr unter den Lebenden. So sehr die Fotografen der Düsseldorfer Akademie den Kunst-Status ihres Genres festigten – systematisch gesammelt wurde Fotografie in Düsseldorf weder an der Hochschule noch in den Museen. Immerhin zeigte vor allem das NRW-Forum in den letzten beiden Jahrzehnten verstärkt Foto-Ausstellungen aller Art von Mode bis Straßenfotografie, und auch der gegenüberliegende Kunstpalast richtete hin und wieder einen Spot auf Düsseldorfer Lichtbildner wie Andreas Gursky oder Wim Wenders.
Dort setzt man aber nun unter Felix Krämer voll und ganz auf die Fotografie-Karte: Neben der seit zwei Jahren vorbereiteten Peter-Lindbergh-Ausstellung zeigt das Museum am Joseph-Beuys-Ufer nun auch Gipfel- und markante Punkte aus der angekauften Kicken-Sammlung unter dem wohl notwendigerweise unverbindlichen Titel „Sichtweisen“. Die Auswahl traf die ebenfalls neu eingestellte Foto-Kuratorin Linda Conze, die aus dem Konvolut rund 200 Werke destilliert hat.
Henry Fox Talbot, Nick Út, Robert Capa, Joel Rosenthal
Es sind große Klassiker der Foto-Geschichte dabei. Etwa der Pionier William Henry Fox Talbot, der mit dem von ihm erfundenen Prinzip, Positiv-Abzüge von Negativen herzustellen, die bis dato vorherrschende Daguerreotypie ablöste (was ja bis zum Aufkommen der Digital-Fotografie das Standard-Verfahren blieb): Seine Neubau-Fotografie aus dem London der 1840er-Jahre ist noch von den Kinderkrankheiten der neuen Technik gezeichnet, die sich aber sehr rasch verbessert, wie etwa Franz Hanfstaengls Aufnahmen von Monstranzen zeigen.
Der Einblick in Düsseldorfs jüngstes Schatzkästchen ist allerdings nicht zeitlich, sondern schlüssig nach Themen wie „Raum“, „Neugier“, „Mensch“ oder „Alltag“ aufgebaut. Vertreten sind auch klassische Nachrichtenbilder wie Nick Úts schreiendes Mädchen im Napalm-Bombardement von Vietnam (als authentischer Agentur-Abzug), Robert Capas Milizionär im Spanischen Bürgerkrieg im Moment seiner Erschießung (dessen Echtheit immer wieder angezweifelt wird) und Joe Rosenthals ikonischer Flaggenhissung der GIs in Iwo Jima (die nachgestellt wurde, weil der Fotograf zu spät gekommen war).
Lászloó Moholy-Nagy, Helmut Newton, Peter Lindbergh, Umbo, Lotte Jacobi
Dass Fotografie aber auch etwas mit Augenlust zu tun hat, demonstrieren Licht- und Schatten-Spiele von Peter Keetman und Laszlo Moholy-Nagy, von Ellen Auerbach und Grete Stern, Helmut Newton, Peter Lindbergh und Otto Umbehr, besser bekannt als Umbo. Oder auch von Man Ray, dessen berühmte „Tränen“ ebensowenig als Originalabzug (der von Fachleuten so verehrte „Vintage Print“) zur Sammlung gehört wie die Porträt- und heimlichen Aufzug-Aufnahmen des Otto-Steinert-Schülers Heinrich Riebesehl. Was aber etwa den fantastisch vitalen Schnappschuss Lotte Jacobis der tanzenden Claire Bauroff nicht schmälert.
August Sander, Karl Blossfeldt, Albert Renger-Patzsch, Otto Steinert, Helmar Lerski
Der eigenwillige Helmar Lerski, der versuchte, mit ein und demselben Modell durch Licht und Perspektive 140 verschiedene Gesichter zu erzeugen, die meisterliche Porträtistin Aenne Biermann, die Grenzgänge des Otto Steinert, die sture Sorgfalt von Albert Renger-Patzsch, die genial-skulpturalen Pflanzen von Karl Blossfeldt, die menschlichen Typen eines August Sander, die Kioske von Tata Ronkholz, die berückenden Farbstimmungen eines Joel Meyerowitz oder die frühen Bewegungsstudien von Eadweard Muybridge, der schon Ende des 19. Jahrhunderts herausfand, dass Pferde im Galopp zeitweise alle vier Hufe in der Luft haben – wer sich daran satt sehen kann, hat schon zu viel gesehen.
Bis 17. Mai, di-so 11-18 Uhr, do bis 21 Uhr. Eintritt: 10 Euro, erm. 8 Euro. Kombiticket für alle Ausstellungen: 14 Euro. Katalog: 29,80 Euro.