Dortmund. Zeitreise zu Beethoven: In Dortmunds Konzerthaus blickte Thomas Hengelbrock mit dem jubelnden Publikum auf die „Akademie“ von 1808 zurück.

Diese Akademie – heute würde man schlicht „Konzert“ sagen – muss eine kuriose Veranstaltung gewesen sein: Ludwig van Beethoven bot an jenem 22. Dezember 1808 alles auf, um sein Publikum zu beeindrucken und sich dringend nötige Einnahmen zu verschaffen.

Vier Stunden musste es im eiskalten Theater an der Wien ausharren: zwei neue Sinfonien, ein anspruchsvolles Klavierkonzert, Beethoven selbst als improvisierenden Pianisten. Zum Schluss eine „Fantasie“ für Klavier, Solisten, Chor und großes Orchester, die Noten so frisch, dass die Musiker so gut wie nicht geprobt hatten. Dazu ein schon erheblich ertaubter Beethoven, der im ersten Ausbruch seines Temperaments die Leuchter von Klavierpult fegt.

Dem Nachempfinden sind also Grenzen gesetzt: Das Dortmunder Konzerthaus ist für die Rekonstruktion des denkwürdigen Ereignisses angenehm beheizt, Thomas Hengelbrock zeigt als Dirigent durchaus Temperament, weiß aber seine Gesten zu zügeln, und das Balthasar-Neumann-Ensemble ist vorzüglich einstudiert. Bei allem Respekt vor den Leistungen der Vergangenheit: So perfekt hat Beethoven seine Musik wohl kaum gehört. Zu Beginn die Sechste Sinfonie. Die Musiker spielen im Stehen, signalisieren damit wache Präsenz. Die „angenehmen Empfindungen“ des ersten Satzes müssen der Steigerungsdramatik nicht entbehren. Der zweite Satz „am Bach“ wird zu einem Wunder an Farben und aparten Klangdetails. Grimmige Energie gibt’s erst in der Gewittermusik.

Hengelbrocks Können und Beethovens Genie werden in Dortmunds Konzerthaus umjubelt

Hengelbrock achtet wie später in der Fünften auf die innere Logik der Komposition, die seine Musiker genau ausformen. Leider wirken die tiefen Streicher – wegen ihrer Platzierung? – oft zu schummrig. Und in der Fünften huldigt Hengelbrock detailverschlingender Rasanz, der er Episoden von Bellini’scher Süße entgegenstellt. Kristian Bezuidenhout hat es nicht leicht, sich im G-Dur-Klavierkonzert mit seinem Hammerflügel in der Weite des Saals durchzusetzen, auch wenn die Streicher seinen ruhevoll-innigen Ton mit äußerster Noblesse aufnehmen, Kontraste und Verzahnungen liebevoll ausspinnen.

Dramatischer sind die Beiträge der Vokalkunst: Katarina Karnéus singt Szene und Arie „Ah! Perfido“ mit vibratosatter Wucht. In zwei Sätzen aus der C-Dur-Messe und in der abschließenden „Chorfantasie“ fächert der Balthasar-Neumann-Chor den Klang weit auf: staunend verhalten im Beginn des Sanctus, strahlend im Lobpreis der „Töne Zauber“ in der Fantasie. Das Publikum empfing „froh die Gaben schöner Kunst“ und feierte die Künstler und Beethovens Genius mit Jubel.