Kritiker des katholischen Reformprozesses machen sich gerne die Hände schmutzig. Die Austritte gleichen hingegen inzwischen einer Massenflucht
Es gibt Dinge im Leben, die man gar nicht wissen möchte. Zum Beispiel, dass Kardinal Müller die Entscheidungsfindung beim Reformdialog der katholischen Kirche mit dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten vergleicht.
Interessant finde ich, dass solche Tiraden ausgerechnet im Internet verbreitet werden, von Hardlinern, die den Reformprozess als „Satanssynode“ verunglimpfen. Die katholischen Ultras geben sich doch sonst nicht gerade als Bürger 2.0, die dem Fortschritt aufgeschlossen sind. Aber in den sozialen Netzwerken verteidigen sie die Lufthoheit über Zucht und Ordnung. Dabei hat man keine Scheu, sich die Hände dreckig zu machen. Diesen kreuzzugähnlichen Furor teilen sich die Rechtskatholiken übrigens mit anderen Radikalen. Was das über die geistigen Befindlichkeiten dahinter verrät, ist erbärmlich.
Sitte und Moral
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Beim Stichwort Sitte und Moral kommen wir zu Schwester Philippa Rath. Die Benediktinerin hat beim Synodalen Weg darüber gesprochen, wie viel Angst in der Kirche herrscht. An diese Kirche der Angst kann ich mich aus meiner Kindheit erinnern, an die Bigotterie, die Unfreiheit, die Kontrolle. Wenn ich nicht bei klugen und warmherzigen Schwestern zur Schule gegangen wäre, hätte ich heute vermutlich kein Gebetbuch mehr.
Wir Frauen stellen mehr als die Hälfte der Katholiken weltweit. Zu sagen haben wir gar nichts. Deshalb freut es mich, dass sich nun endlich so viele zu Wort melden, dass auch die Ordensschwestern Ämter einfordern, die ihrer Qualifikation und ihrer Spiritualität entsprechen. Schwester Philippa zum Beispiel ist ein Gesicht des internationalen Netzwerkes #overcomingsilence, das Frauen in Entscheidungspositionen der katholischen Kirche bringen will.
Angstraum Kirche
Angstraum Kirche. Was für ein furchtbares Bild. Und wieviel Angst muss der eifernde Kardinal Müller wohl haben, der vom Papst längst Zwangsrente geschickt wurde. Vielleicht denkt er, sein Opfer war vergebens, wenn künftig Frauen Diakoninnen werden und Priester heiraten können.
Die Zahl der Kirchenaustritte in NRW ist 2019 noch einmal sprunghaft gestiegen. Die Ignoranz gegenüber dieser Massenflucht in Teilen des Establishments ist erschütternd. Einsam in der Parallelwelt, kann man da nur sagen.
Die letzte Hoffnung
Immer noch ist die Kirche für mich die Zuflucht gegen die Verrohungen des Alltags. Gerade jetzt. Aber kaputt macht sie sich selbst. Der Reformprozess ist die letzte Hoffnung. Und er ist, das bitte beim Eifern nicht vergessen, eine Folge der himmelschreienden Verbrechen von Priestern an Kindern.