Köln. Der schottische Sänger Lewis Capaldi (23) füllt das Kölner Palladium bis auf den letzten Stehplatz: ein Seelensammler mit Lizenz zum Fluchen.

Beim vierzehnten Mal „fucking“ in seiner Begrüßung hört man auf, zu zählen. In adverbialer Form verwendet Lewis Capaldi diesen Vulgärausdruck so häufig, wie Sauerländer das Wörtchen „woll“. Ansonsten hat man Dienstag im Palladium erstmal Mühe, zu begreifen, was der 23-Jährige sonst noch so von sich gibt. Er kommt aus dem schottischen Bathgate, einer Kleinstadt knapp 30 Autominuten von Edinburgh entfernt. Das, was hier gesprochen wird, hat mit BBC-Englisch soviel Ähnlichkeit wie ein Pudel mit einem Wolf. Umso besser versteht man, was der Schotte singt. Zeilen wie „I’ve been told, I’ve been told to get you off my mind. But I hope I never lose the bruises that you left behind”, kommen glasklar rüber. Was den Schluss zulässt, dass da einer durchaus in der Lage wäre, seine Ansprache ans Publikum weniger regional gefärbt zu gestalten. Aber einfach keine Lust hat, sich verbiegen zu lassen. Er ist der, der er ist. Und der will er bleiben.

Lewis Capaldi verdankt seinen Nachnamen italienischen Wurzeln

Capaldi, der seinen Nachnamen italienischen Wurzeln verdankt, ist keiner, der besonders gut aussieht. Stylt seine Haare nicht, rennt nicht in die Muckibude, legt keinen Wert auf schickes Outfit. Aber schon in den ersten von insgesamt 80 Minuten in der ausverkauften Halle wird klar, warum er als Senkrechtstarter unter den englischsprachigen Singer-Songwritern gehandelt wird. Warum man ihn in einem Atemzug mit solchen Kollegen wie Ed Sheeran, George Ezra oder Rag’n`Bone Man nennt. Und warum ihn „Someone You Loved“ sogar bis an die Spitze der für Briten schwer zu erstürmenden US-Charts brachte.

Balladen wie „Bruises“ erzählen von den Verletzungen, die man sich durch die Liebe einhandeln kann, aber die man dennoch nicht missen möchte, weil der Schmerz, den man fühlt, ja schließlich der Beweis für die Größe dieser Liebe ist. Und so wie Capaldi das singt – mit rauer, flehender Zärtlichkeit, jede Zeile ein Stückchen weiter innerlich verblutend, trotzdem hoffend, wollend, glaubend – muss es eine riesengroße Liebe sein. Das Rad hat er nicht neu erfunden, seine Songs sind solide, aber vorhersehbar konstruiert. Aber Lewis Capaldi berührt die Menschen und ihre Seele.

Im Mai 2019 erschien das erste Studioalbum: „Divinely Uninspired to A Hellish Extent“

Nach drei EPs ist vergangenes Jahr im Mai sein erstes Studioalbum „Divinely Uninspired to A Hellish Extent“ erschienen. Live sind Stücke wie „Hollywood“, „Fade“ oder „Hold Me While You Wait” göttlich für diejenigen, die sie hören, aber höllisch für denjenigen, der sie darbietet. „Ich schwitze wie ein verfluchtes Schwein“, konstatiert Capaldi (als man ihn, learning by listening, schon besser versteht).

Aber seinen Kapuzenpulli kann er nicht ausziehen, „ich habe kein T-Shirt drunter.“ Noch nicht mal die dünne, schwarze Jacke, die er drüber trägt, mag er ablegen. Da können die im Publikum noch so oft und noch so laut „Take it off!“ fordern. Beides bleibt an.

„Oh, da ist ja mein Gesicht drauf! Sie trägt ein Fan T-Shirt!“, jubelt Lewis Capaldi

Ebenso wie die Oberbekleidung eines weiblichen Fans, die Capaldi in der ersten Reihe entdeckt, scheinbar erstaunt über das, was er da sieht: „Oh, da ist ja mein Gesicht drauf! Sie trägt ein Fan T-Shirt!“ Vielleicht ist Selbstironie ein probates Mittel, damit umzugehen, dass das macht, was man schon immer gemacht hat. Singen und Songs schreiben. Aber damit nicht mehr in Pubs auftritt, sondern in Arenen. Dass man millionenfach gestreamt wird und Frauen, die früher irritiert gefragt hätten „Lewis? Welcher Lewis?“ nun mit Inbrunst brüllen: „I love you!“ und genau diesen Lewis damit meinen.

Was bleibt sonst noch zu sagen über diesen großartigen Abend? Außer sich den Worten des Seelensammlers mit der Lizenz zum Fluchen anzuschließen: „Thank you very fucking much!“