Düsseldorf. Vermächtnis: Zwei Jahre arbeitete Star-Fotograf Peter Lindbergh an der Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast – bis zum Tod im September 2019.
Peter Lindbergh, der fürs Leben geprägt wurde von Rheinhausen, als die Kruppschen Hochöfen dort noch glühten, war in der Lage, die Menschen vor seiner Kamera „von jenem Netz zu befreien, in dem wir im Leben so oft zappeln und zu Schauspielern unserer selbst werden.“ So hat es Lindberghs Freund Wim Wenders empfunden, und diese Worte aus seiner Trauerrede im September 2019 finden sich nun wieder im Katalog der Ausstellung „Untold Stories“: Der Düsseldorfer Kunstpalast zeigt darin eine Art Vermächtnis, denn an dieser 140 Bilder starken Rückschau auf sein Werk hat Lindbergh selbst die letzten zwei Jahre vor seinem plötzlichen Tod gearbeitet.
Die Evangelistas, Auermanns, Christensens und Crawfords
Aus den Millionen von Fotos, für die er in 40 Schaffensjahren auf den Auslöser gedrückt hat, wählte Lindbergh sicher mit Bedacht gerade nicht diejenigen, die zu Ikonen seiner Fotografie wurden und die beim Googeln seines Namens als erste auftauchen. Diese legendären Supermodel-Bilder der Evangelistas, Auermanns, Christensens und Crawfords machten ihn zu einem Superstar der Fotografie, gerade weil er diesen Frauen jeden künstlichen Glamour nahm. Er gab ihnen die Freiheit, sie selbst zu sein, ganz natürlich oder als Wunsch-Ich, und das ließ sie auf eine ganz andere Weise schön werden, als man es auf den Hochglanz-Seiten der Vogue und von Harper’s Bazaar gewohnt war.
Die ältesten Bilder dieser Ausstellung reichen zurück bis in die frühen 80er-Jahre, als Lindbergh längst in Paris wohnte, aber immer noch gelegentlich in Duisburg fotografierte. Er suchte oft den rauen Charme des Unfertigen, der abgerockten Industrie, aber auch der wilden Natur von der Bretagne bis zur Sahara.
Der grinsende Delfin und Helen Mirren, sechs Raben und die vielen Nicole Kidmans
Und er liebte, was der Auftakt dieser Ausstellung verrät, die Überwältigung: Die turmhohen Wände des Kunstpalasts sind gepflastert mit Tapeten-Fotos, die das Gegenteil einer Foto-Tapete sind, auch wenn sie auf den Außenwänden des Museums absehbar einen Haufen Blechschäden produzieren würden. Lindberghs Bilder erzählen Geschichten, manchmal ganze Filme wie die herrlich rustikale Festmahl-Szene mit Wein und Krustentieren und vier Frauen, die sich auf die Wirkung ihrer wunderbar frisierten Ich-bin-doch-gerade-erst-aufgestanden-Haare verlassen können, während die vier Männer-Schemen im Hintergrund die wichtigen Nebenrollen ausfüllen. Das ist so eine „Story“, wie sie der Titel verspricht, und viele von ihnen sind zum ersten Mal zu sehen.
Der elegante Bulle auf einer Finca in Sevilla, der grinsende Delfin in Florida („Ein neuer Freund“) oder einsame Landschaften runden dieses Selbstbild eines Mannes ab, der nicht unstolz darauf war, so vieles zu können: Den Paparazzi-Style ebenso wie ein Stillleben mit sechs Raben rund um eine weiße Bank oder eine verwegen schöne Helen Mirren im siebten Jahrzehnt ihres bewegten Lebens und zwölf Supermodels gerecht schön auf einem Bild. Wir lernen den Mann in Nicole Kidman genauso kennen wie die Frau und die Träumerin, und wir glauben tatsächlich, Naomi Campbell kennenzulernen und mehr über sie zu erfahren, als zu lesen steht, wenn wir in diese Augen, in dieses Gesicht blicken.
Antonio Banderas und Claudia Schiffer und die Worte von Wim Wenders
Man sieht Antonio Banderas neu und Claudia Schiffer, wie kein Fotograf sie schuf, und kaum eines dieser dieser Bilder wirkt veraltet, scheitert als Porträt etwa an der Glätte eines Richard Gere oder streift die Sphäre des Kunstgewerbes. Genau das Gegenteil davon erwartet uns schließlich am Ende dieser Ausstellung: Lindbergh hat 2013 einen zum Tode verurteilten Mörder besucht, hat ihn eine halbe Stunde lang gefilmt und auch fotografiert. Sie gehören, neben einem feist-rustikalen Stillleben vom Festmahl der vier Schönen und einem filmreifen Spotlight, zu den wenigen Farbbildern dieser Schau. Lindbergh versuchte zu begreifen, wie es kann, dass Menschen, die unschuldig zur Welt kommen nach einer unschuldigen Kindheit dazu kommen oder gebracht werden, dass sie aus beinahe nichtigen Anlässen das Leben anderer mit Gewalt beenden. Wir erfahren nichts über diesen Elmer Caroll, der zwei Monate nach den Aufnahmen hingerichtet wurde. Die Bilder dieses Mannes, der Lindbergh ein bisschen ähnlich sah, lassen ahnen, was Wim Wenders in allen Bilder von Lindbergh sah, „unseren tiefsten menschlichen Hang zu Freiheit und Freundlichkeit sowie das Recht, das Kind in uns am Leben zu erhalten.“
„Untold Stories“. Museum Kunstpalast, Düsseldorf, Ehrenhof 4-5. Bis 1. Juni. Geöffnet: Di-So 11-18 Uhr; Do bis 21 Uhr. Eintritt: 10 € (unbedingt zu empfehlendes Kombiticket für alle Ausstellungen inkl. Angelika Kauffmann: 14 €), erm. 8 €. Kinder und Jugendliche unter 18: frei. Katalog (echt lindberghisch ohne Hochglanz, auf rauem Papier): Taschen Verlag, 320 S., 60 €.