Essen. Nick Cave, der Star des düsteren Rocks, war zu Gast in Essen. Im Colosseum-Theater begeisterte der Australier seine Fans in privater Atmosphäre.

Gedämpfte Musik im Foyer, Männer in gebügelten Hemden, Frauen in schicken Kleidern. Wein in langstieligen Gläsern, Sprudelwasser, ja, auch hier und da ein ordinäres Bier. Auf der Bühne ein Klavier und dahinter gut ein Dutzend Menschen, die brav an Tischen sitzen, auf denen (batteriebetriebene) Kerzen für eine gediegene Atmosphäre sorgen. Alle paar Minuten schlägt leise ein Gong, der den nahenden Beginn der Veranstaltung ankündigt, schließlich sind wir hier im Theater. Die Leute sollen nun, bitteschön, ihre gepolsterten Plätze einnehmen.

Wer am Donnerstagabend im Colosseum diese Szenerie erlebt und aus irgendeinem Grund nicht weiß, worum es zur Hölle hier geht, der würde nie darauf kommen, dass gleich Nick Cave das Podium betritt. Der Fürst der Finsternis, der Star des düsteren Rocks oder Blues, seit 40 Jahren von seinen Fans geradezu vergöttert für sein außergewöhnliches Schaffen. Aus Australien und dem Post-Punk kommend, hat er seine wilden Zeiten mit den früheren Bands Birthday Party und den heute noch existierenden Bad Seeds längst hinter sich gelassen. Heute gibt er sich als eine Art Elder Statesmen der Szene – und feiert auf seine alten Tage junge Erfolge.

Nick Cave erfüllt Musik- und Autogrammwünsche

In Anlehnung an das Format „The Red Hand Files“, auf denen er seine Anhänger im Jahr 2018 dazu aufrief, ihm online einfach mal ein paar Fragen zu schicken, lädt er nun zu „Conversations with Nick Cave – An Evening of Talk and Music“. Der Meister am Piano, „The Mercy Seat“, „The Weeping Song“, „Into My Arms“, „The Ship Song“ und später „Stager Lee“ – dazwischen ein teils launiger und sehr privater Austausch mit dem Auditorium, dessen Musik-, Autogrammwünsche und Bitten um persönliche Widmungen gerne erfüllt werden.

Schon auf seiner letzten Tour nach dem bahnbrechenden Album „Skeleton Tree“, mit dem er die Trauer über den Tod seines 2015 verunglückten Sohnes Arthur zu verarbeiten versucht, gibt sich der inzwischen 62-Jährige nahbar wie nie. Es scheint, dass er den unfassbaren Verlust, das riesige Meer der Trauer, am ehesten mit vielen Menschen um sich herum bewältigen kann. So sind es auch an diesem Abend in Essen diese ganz intimen Momente, in denen er zu seinem persönlichen Umgang mit diesem emotionalen Abgrund befragt wird, die einem die Tränen in die Augen schießen lassen. „Im November ist mein Sohn gestorben, er war zwölf. Für mich hat nichts wirklich mehr eine Bedeutung und ich frage dich: Wie hast du es geschafft, über den Verlust deines Kindes hinweg zu kommen?“

Kein Skript, kein Verhaltenskodex, keine Tabus

Nick Cave ist nicht überrascht, dass dieses schlimmste aller möglichen Themen hier schnell zur Sprache kommt. Bei den „Conversations“ gibt es kein Skript, keinen Verhaltenskodex, der den Besuchern an die Hand gegeben wird, keine Tabus. „Je mutiger und verrückter die Fragen sind, umso besser“, sagt er früh am Abend. Und dann wird es noch stiller im Saal, als er anhebt: „Ich habe versucht, nach Lichtern im Dunkel zu suchen. Erst waren es sehr wenige und sie waren sehr klein, dann wurden es mehr und sie wurden größer“, antwortet Cave und rät: „Probiere, über den Graben zu springen, denn auf der anderen Seite ist noch etwas!“

Transzendenz ist seit je her ein Anker in seinem Schaffen. Immer wieder bezieht er sich in seinen Songs auf übergeordnete Formen der Existenz, besingt den „Lord“ oder verweist auf die Bibel. Was uns Menschen nach dem Ableben erwartet? „Ich weiß es nicht“, sagt Nick Cave. „Und ich weiß auch nicht, ob es einen Gott gibt, aber nach Dingen außerhalb der direkten Wahrnehmung zu suchen, gibt mir kreative Energie.“

Nick Cave wollte immer so sein wie Elvis

Als er im noch jugendlichen Alter Leonard Cohen zum ersten Mal hört, wird der große Songschreiber zu seinem Spiritus Rector. Als Nick Cave dann Anfang der 80er selbst die ersten Songs schreibt und live performt, hat er aber ein anderes Idol vor Augen. „Ich wollte immer wie Elvis sein“, erzählt er in Essen. Und überrascht mit einem Bekenntnis zu einem musikalischen Sidekick, den man nun gar nicht mit ihm in Verbindung bringt: Kanye West. Das jüngste Album des US-Rappers mit Hang zum Größenwahn, „Jesus is King“, gefällt ihm.