Der Erfolgsdruck macht auch vor der Kunst nicht Halt: Nina Hoss überzeugt als Violinistin im Film „Das Vorspiel“ – besonders in einem Moment.
Dieser Blick lässt sich nicht ganz entschlüsseln. Unbeobachtet betrachtet die Violinistin und Musiklehrerin Anna Bronsky ihren Sohn Jonas, wie er mit einer Gruppe anderer Schüler ein Musikstück probt. Man sieht in diesem Moment nur die linke Hälfte ihres Gesichts, die andere bleibt verborgen. Und so ist es auch mit ihren Gefühlen und Gedanken. Stolz und Zufriedenheit, Zuneigung und Zuversicht, liegen zweifellos in diesem Blick. Aber da ist noch mehr, ein dunkler Untergrund, der sich nicht fassen lässt. Annas Bewunderung für ihren Sohn geht über ein mütterliches Hochgefühl hinaus. Sie ist von einer stillen Komplizenschaft erfüllt, einem Wissen um die Abgründe hinter der perfekten Fassade.
In diesem unvergesslichen Blick der von Nina Hoss gespielten Lehrerin gipfelt „Das Vorspiel“, Ina Weisses zweiter Spielfilm. Aber er ist weit mehr als nur ein stiller Höhepunkt eines ungeheuer dichten Dramas. In all seiner Widersprüchlichkeit und seiner untergründigen Schärfe wird er zu einer Art von Brennglas, in dem sich alle Motive und Themen des Films bündeln. Zunächst erzählt Ina Weisse auf eine eher unspektakuläre Weise von den Schattenseiten bürgerlicher Ideale wie Familie und Kunst. Aber je tiefer sie einen in die brüchige, von unterschwelliger Gewalt ebenso wie von einer idealistischen Hoffnung auf Erlösung geprägte Welt Anna Bronskys hineinzieht, desto stärker verstrickt man sich in dieser bitteren Analyse unserer neo-bürgerlichen Gegenwart.
„Das Vorspiel“ ist der zweite Spielfilm von Regisseurin Ina Weisse
Nina Hoss’ Anna Bronsky ist ohne Frage eine Besessene. Meistens wirkt sie äußerlich versteinert und innerlich hoffnungslos verhärtet. Doch sobald sie mit ihrem neuen Schüler Alexander, einem schüchternen und verunsicherten Jugendlichen, zusammen ist, brechen ihre Gefühle nur so aus ihr heraus. Sie, die als Künstlerin an ihrer panischen Angst, zu versagen, gescheitert ist, setzt alle Hoffnungen auf ihren Schüler und überschreitet dabei immer wieder Grenzen.
Das Leistungsdenken einer Gesellschaft, die nur Erfolg akzeptiert, hat den Raum der Kunst längst infiziert. Anna mag hehre Ziele haben, aber sie hat sich dem allgemeinen Denken längst unterworfen, als Musikerin wie als Lehrerin. Nicht einmal mehr die Kultur bietet Freiräume. Auch sie wird von den bemäntelten Gewaltstrukturen einer sich bürgerlich gebenden, neoliberalen Leistungsgesellschaft beherrscht.