Essen. Er setzte brutal Beton-Bauten in mittelalterliche Ruinen – und baute immer filigraner: Der Architekt Gottfried Böhm feiert seinen 100. Geburtstag.
Sein bekanntestes und wohl auch bedeutendstes Werk macht augenfällig, dass Beton, anders als man lange Zeit glauben mochte, ein empfindlicher, höchst pflegebedürftiger Baustoff ist: Der Mariendom in Velbert-Neviges, 1968 in Erwartung weiterer Pilgerströme geweiht, ragt wie ein Gebirge aus der Landschaft (weshalb der fast schon blinde legendäre Kölner Kardinal Frings unbedingt diesen Entwurf gebaut sehen wollte, den er gut tasten konnte). Die strahlende Schönheit seiner Anfangsjahre aber hat er selten wieder erreicht.
Kirchen und Häuser wie Skulpturen
Gottfried Böhm, der heute seinen 100. Geburtstag feiern kann, hat so viele Kirchen entworfen wie kein anderer lebender Architekt – selbst wenn man die vielen Kirchen nicht mitzählt, deren Wiederaufbau er geleitet hat. Oft waren es Kirchen, die sein kühn planender, heftig angefeindeter und glühend verehrter Vater Dominikus gebaut hatte, im Rheinland, im Ruhrgebiet. Gottfried Böhm, der 1942 nach einer Verletzung aus der Wehrmacht ausschied, studierte Bildhauerei in München – und gleichzeitig Architektur. Nicht zuletzt deshalb neigt Böhms Stil zur gebauten Skulptur, zur gezielten, gestischen Gliederung des Raums.
Anfangs nutzte er dazu den bis dato noch nicht an seine Grenzen gestoßenen Stahlbeton, später bevorzugte er Stahl und Glas. Auch die Formensprache nahm unterschiedliche Dialekte an, wechselte vom gekonnten Brutalismus (wie beim Rathaus von Bensberg) zu filigran verspielter Postmoderne, wie sie etwa an den WDR-Arkaden (die er gemeinsam mit seiner Frau entwarf), dem Rathaus im niederrheinischen Rheinberg oder am Potsdamer Hans-Otto-Theater sichtbar wird.
Nach dem Krieg war Gottfried Böhm ins Büro seines Vaters eingestiegen, um es nach dessen Tod 1955 zu übernehmen. Bereits sein erster eigener Bau, die Kapelle Madonna in den Trümmern der zerstörten Kölner Kirche St. Kolumba, geriet ihm zu einem kleinen Geniestreich. Und während Böhm beim Bauen im Bestand anfangs die große Setzung liebte, bewies er im Spätwerk ungewöhnliches Feingefühl darin, hochmoderne Entwürfe in historische Ensembles einzugliedern. Zu den Böhm-Bauten im Ruhrgebiet zählen nicht nur die Heilig-Geist-Kirche in Essen-Katernberg, St. Joseph in Bochum-Hiltrop, St. Thomas Morus in Gelsenkirchen-Ückendorf, die Pfarrkirche St. Albertus Magnus in Bochum-Wiemelhausen sowie das Gemeindezentrum und die Filialkirche St. Matthias in Essen-Kettwig, sondern auch die Klosterkirche Zu Unserer Lieben Frau in Oberhausen, die im Inneren wie ein Zelt wirkt – Böhm nahm sich die Freiheit, die ihm der Spannbeton gab, zu „Gewebedecken“, die viel leichter wirken als sie mit ihren hängend konstruierten Betonschalen tatsächlich sind.
Erster deutscher Pritzker-Preisträger
Gottfried Böhm erhielt 1986 als erster Deutscher den Pritzker-Preis, der als Nobelpreis der Architektur gilt. Seit 2006 haben drei seiner Söhne (der vierte ist Künstler) Böhms Architekturbüro übernommen. Doch bei ausgewählten Aufträgen, wie dem der lange Zeit heftig umstrittenen Ditib-Zentralmoschee in Köln, beteiligt sich der Senior mit anhaltender Freude an der Gestaltung.
Und vielleicht ist gerade sie es, die ihn, der bis heute täglich in sein Büro spaziert, ein nahezu biblisches Alter erreichen ließ.