Gelsenkirchen. Das Musiktheater im Revier zeigt Haydn, den Vater der Wiener Klassik, als Opernkomponisten. „Orlando Paladino“ verlegt die Regie in eine Kneipe
Wer an „Papa Haydn“ denkt, der denkt an sakrale Meisterwerke, an brav barocke Sinfonien und Streichquartette. Aber an große Oper rund um die Launen der Liebe eher nicht. Das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier brachte nun Joseph Haydns selten gespieltes Ritter-Drama „Orlando Paladino“ (1782) als Übernahme vom Opernhaus Zürich auf die Bühne.
Das Publikum traute der Neuentdeckung allerdings (noch) nicht, viele Plätze blieben leer. Am Ende gab es dann aber einhelligen Jubel für eine leichtfüßige Inszenierung, für ein Fest der großen, jungen Stimmen und für eine stimmige Ensembleleistun. Die Produktion, mit der Intendant Michael Schulz nach Leoš Janáčeks „Die Sache Makropulos“ mutig eine weitere Rarität auf den Spielplan setzte, überzeugt vor allem musikalisch, aber auch inszenatorisch.
Die niederländische Regisseurin Jetske Mijnssen verlegt das heroisch-komische Epos rund um zeitlos amouröse Verwicklungen mit leichter Ironie konsequent ins Heute. Bühnenbildner Ben Baur schuf dafür eine charmant-altbackene Kneipe im Stile der Sechziger, ein Ort, an dem sich die immer gleichen Menschen mit ihren immer gleichen Geschichten treffen. Ein Schild über dem Eingang der Bar mahnt mit der Weisheit: „Tonight’s Folly is Tomorrow’s Regret“. Wer es in der Nacht übertreibt, bereut es am nächsten Tag.
Liebeskarussell wird an der Theke in Schwung gehalten
Auf der Einheits-Guckkastenbühne treffen sich seltsam skurrile, hippie-bunte Typen, die an ihrer Liebe zweifeln oder verzweifeln, die suchen und versuchen. In dem Gewusel an Liebeshungrigen verliert der Zuschauer schon mal leicht den Überblick, allerdings bleibt die eigentliche Geschichte ohnehin vernachlässigbar dünn. Es lohnt die Konzentration auf die Musik, und die kommt nicht zuletzt durch die Neue Philharmonie Westfalen unter Werner Ehrhardt schlank, effektvoll farbig und transparent daher.
Orlando liebt Angelica, die aber mit Medoro liiert ist. Was wiederum Orlando, den Martin Homrich mit starkem Tenor als wilden Wüterich gibt, permanent ausrasten lässt. Penny Sofroniadou, Mitglied des noch jungen Opernstudios NRW, stattete ihre Angelica mit einem beachtenswert leuchtenden Sopran und sauberen Koloraturen aus. Khanyiso Gwenxane glänzte als zweifelnder Medoro, Petro Ostapenko gab seinen Rodomonte mit herbem Macho-Charme.
Die Schatten der Nacht mit dem Feudel weggewischt
Von der Theke aus brachte das wild verliebte Wirtspärchen Pasquale (Tobias Glagau) und Eurilla (Dongmin Lee) das Liebeskarussell dezent in Schwung. Lina Hoffmann mit glühend-klarem Sopran versucht als Zauberin Alcina die Fäden zu ziehen, bis Caronte (Gerard Farreras als eine weitere Entdeckung aus dem Opernstudio) alle Schatten der Nacht mit dem Feudel wegwischt.
Hübscher Kunstgriff der Regie im zweiten Akt: Mijnssen verdoppelt die Protagonisten mit Hilfe der Statisterie auf der nun spiegelverkehrten Bühne, so dass sie wie in den eigenen Seelenspiegel blicken und am Ende beruhigter, geläuterter gar das Spiel verlassen. Man darf aber gewiss sein, so suggeriert das Schlussbild: Das Liebes-Karussell wird sich auch in den kommenden Nächten weiterdrehen…